Liebe im Zeichen des Nordlichts
nahm das offenbar nicht zur Kenntnis. Er hatte sich in Rage geredet.
»Ich bin Arzt! Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, zu verhindern, dass Menschen sterben. Aber die Medizin ist nun einmal keine exakte Wissenschaft, und ich lasse mich nicht als Ungeheuer hinstellen, weil ich das Pech hatte, eine Patientin zu verlieren, und die Meute nun einen Skalp fordert.«
Er lehnte sich zurück und verschränkte trotzig die Arme.
»Ich weigere mich, als Sündenbock herzuhalten, verdammt.«
Als er eine dramatische Pause einlegte, nutzte der für die niederen Instanzen zuständige Anwalt die Gelegenheit, zu Wort zu kommen. Er geriet ein wenig ins Stammeln.
»Da wäre noch etwas … äh … das man meiner Ansicht nach an dieser Stelle erwähnen sollte, nämlich, dass die schadensersatzerhöhenden Umstände die Angelegenheit noch verkomplizieren. Wie ich annehme, ist Ihnen bewusst, dass die Kläger schadensersatzerhöhende Umstände geltend machen. Sie behaupten, von Ihrem Verhalten eingeschüchtert worden zu sein.«
Er zuckte leicht zusammen und machte sich auf einen weiteren Wutausbruch gefasst.
»Sie hätten sich von Ihnen bedroht gefühlt.«
Wieder eine wegwerfende Handbewegung von Hugh.
»Immer dieselbe alte Leier«, erwiderte er. »Das behaupten sie nämlich immer. Traumatisiert, weil der Arzt so unsensibel mit ihnen umgesprungen ist, und so weiter und so fort. Und jetzt sind sie nicht mehr in der Lage, auch nur einen Fuß in ein Krankenhaus zu setzen oder sich eine Folge von
Emergency Room
anzuschauen …«
Und so ging es immer weiter. Eine einstündige Besprechung. Obwohl die beiden Anwälte für diese Sitzung eine astronomische Summe in Rechnung stellen würden, hatten sie ihr Geld diesmal im Schweiße ihres Angesichts verdient.
Als sie sich erhoben, um das Gespräch zu beenden, wirkten ihre Nadelstreifenanzüge zerknitterter als gewöhnlich, die mit Pomade zurückgekämmten Haarsträhnen begannen zu verrutschen, und ihre sonst so straffen Gesichter waren schlaff.
Automatisch streckten sie die Arme aus, um Hugh die Hand zu schütteln, bis ihnen einfiel, dass das ja nicht möglich war. Hugh stand da, die eingegipsten Hände zu beiden Seiten, und vollführte eine seltsame kleine Verbeugung. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte mit gesenktem Kopf auf die Tür zu.
Der Anwalt für die niederen Instanzen öffnete sie hastig und versteckte sich halb dahinter, während Hugh hinausmarschierte.
Sie konnten ihn vor sich hin schimpfen hören, als er im dunklen Treppenhaus verschwand.
Jetzt brauchten sie dringend ein Bier.
Durch die Buntglasfenster in der Nische strömte Licht herein und beleuchtete die Wasserflecken auf dem Holztisch und die Risse im Lederbezug der Sitzbank, aus denen vergilbter Schaumgummi hervorlugte. Die Sonne betonte auch die Schuppen auf den Schultern des Anwalts für die höheren Instanzen, die roten Äderchen auf der Nase seines Kollegen für die niederen, die zehn Farben, die sich in den schwarzen Tiefen eines Guinness verbergen, und die Bläschen, die in die cremige Schaumkrone aufstiegen.
Die beiden Männer warteten noch, obwohl sie beide einen Schluck bitter nötig hatten.
»Wie sollen wir den nur in den Zeugenstand rufen?«
»Mit einem außergerichtlichen Vergleich ist er sicher nicht einverstanden.«
»Möglicherweise bleibt ihm nichts anderes übrig. Die Versicherung ist bestimmt nicht scharf auf einen jahrelangen Prozess.«
»Wir könnten die Beweismittelaufnahme verschleppen.«
»Damit würden wir Zeit gewinnen.«
»Vielleicht passiert in der Zwischenzeit ja etwas.«
»Zum Beispiel, dass er vom Blitz erschlagen wird.«
»Lass uns den Daumen drücken.«
Sie erhoben die Gläser und stießen darauf an.
Erst als Hugh sich auf dem Rücksitz des Taxis niederließ, fiel ihm ein, dass er die dienstrechtliche Untersuchung des Krankenhauses gar nicht erwähnt hatte. Sicher wussten sie bereits davon, das musste einfach so sein. Aber eigentlich hatte er sie warnen wollen.
Dem Krankenhaus konnte man nicht trauen.
Es verfolgte nämlich seine eigenen Absichten und hatte sogar ein Team von Anwälten angeheuert. Man war darum bemüht, öffentliches Aufsehen zu vermeiden und Schadensbegrenzung zu betreiben. Das Krankenhaus würde alles tun, um nicht in die Schlagzeilen zu kommen.
Das hatte Hugh seinen Anwälten mitteilen wollen, damit sie im Bilde waren. Was zählen schon vierzig Jahre Berufserfahrung?, wollte er ihnen sagen. Was zählen ein Professorentitel
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