Liebe im Zeichen des Nordlichts
Blumenbeeten. Sie rannte im Kreis wie ein Zirkuspferd in der Manege. Immer wieder, und die Kreise wurden dabei enger und enger. Und das konnte nur eines bedeuten. Nun wirbelte sie dreimal um die eigene Achse, kauerte sich hin und setzte einen riesigen Haufen mitten auf den Rasen.
Addie beugte sich vor, um sich noch ein Stück Kuchen zu nehmen, und tat, als hätte sie es nicht bemerkt. Sie versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren.
Alle beugten sich über das Foto, das Bruno mitgebracht hatte.
»Das muss kurz vor seiner Abreise nach Amerika entstanden sein«, stellte die Ältere der beiden fest.
»Dass er nicht zurückgekommen ist, hat ihnen das Herz gebrochen. Mammy und Tante May haben ihn vergöttert.«
»Ja«, stimmte die Jüngere zu. »Sie haben immer gehofft, dass er sie wenigstens besucht.«
»Das wollte er auch. Es war immer sein Traum«, meinte Bruno beschwichtigend.
»Nun, es hat nicht sollen sein. Trotzdem traurig, dass sie einander nie wiedergesehen haben.«
»Sie haben sicher geglaubt, alle Zeit der Welt zu haben. Glaubt das nicht jeder?«
»Tja, jetzt sind sie alle wieder in Gott vereint.«
Feierliche Stille entstand, als sie darüber nachdachten. Dann merkte eine der Cousinen auf und stieß einen Freudenschrei aus.
»Aber Nora war hier! Erinnerst du dich, Mary? Das war eine große Sache für sie. Die Geschenke! Wann könnte das gewesen sein?«
»Herrje, ich denke nach. Moment mal …«
»Ich habe irgendwo noch Briefe von ihr. Sie hat an Mammy geschrieben. Ich muss sie für dich heraussuchen.«
Addies Gedanken schweiften ab. Sie betrachtete die Bilder an der Wand. Ein Durcheinander aus gerahmten Fotos, von denen jedes einen anderen jungen Menschen mit der Kappe und dem Talar des Hochschulabsolventen vor dem buntscheckigen Hintergrund eines Fotostudios zeigte. Die Pergamentrolle steif in beiden Händen. Die Fotos wurden stolz zur Schau gestellt und hingen in der Küche, damit sie auch niemand übersah. Addie fiel ein, dass ihr eigenes Abschlussfoto irgendwo in einem Karton lag. Hugh hatte keine hohe Meinung von Architekten.
Mittlerweile lag der Familienstammbaum auf dem Tisch, und alle beugten sich darüber.
Mein Gott, ist das langweilig, schoss es Addie durch den Kopf. Sie fühlte sich wie in der Messe. In einer Messe auf Latein. Die Langeweile war fast körperlich spürbar.
Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Lola den Rasen aufwühlte. Sie buddelte wie ein Zeichentrickhund, um ihre Spuren zu verwischen, so dass Grassoden und Erde zwischen ihren Hinterbeinen herausflogen.
»Genau«, verkündete eine der Schwestern. »Der Name deines Großvaters war James. Er war ein Bruder unseres Großvaters, John Boylan. Das hast du richtig eingetragen.« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Seite.
»Ich brauche eure Hilfe«, sagte Bruno und konsultierte seine Notizen. »Euer Vater hieß Michael, oder?«
Die beiden nickten begeistert.
»Unser Daddy hieß Michael Daly«, bestätigte eine der beiden. »Und der Name von Mays Mann war Lynch, Seamus Lynch.«
Bruno hielt all das in seinem Notizbuch fest.
»Und der Vorname von Kittys Mann, kennt ihr den zufällig auch?«
Die beiden Schwestern wechselten einen Blick, was Addie sofort auffiel.
»Kittys Mann«, wiederholte eine von ihnen tonlos.
»Ja. Sein Nachname lautete Murphy. Hughs Vater.«
Die beiden sahen Addie verlegen an und starrten dann wieder auf den Familienstammbaum. Von ihrer Sitzposition aus konnte Addie erkennen, dass Bruno ein Fragezeichen neben den Nachnamen ihres Großvaters gemalt hatte.
»Seinen Vornamen habe ich vergessen. Weißt du ihn noch, Theresa?«
»Nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
Brunos Stift schwebte über der Seite. Während sie weitersprachen, ertappte er sich dabei, dass er das Fragezeichen nachfuhr. Nun wirkte es wie fett gedruckt. Es fiel unangenehm auf.
»Er ist schon lange tot.«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir ihn überhaupt je kennengelernt haben.«
Bruno betrachtete die beiden Schwestern.
»Mein Vater hat viel von ihnen erzählt. Er hat oft über sie geredet.«
»Sie waren so stolz auf ihn und haben allen Leuten gesagt, dass ihr Cousin Patrick nach Amerika ausgewandert sei und dort viel Erfolg gehabt habe.«
Sie wandte sich an Addie.
»Auf deinen Vater waren sie auch sehr stolz. Ein Arzt in der Familie. Wünscht sich das nicht jeder?«
Etwas lag in der Luft. Eine Spannung, die Addie nicht zu fassen bekam.
»Es hat Mammy sehr viel bedeutet, dass er zur Beerdigung
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