Liebe im Zeichen des Nordlichts
wirklich nicht anlügen wollen. Allerdings war ihm klar, dass es auf das Gleiche hinauslief. Sie war gekränkt und glaubte, es liege an ihr. Bleich vor Empörung war sie aufgestanden und gegangen.
Zu Brunos Schrecken hatte er es nicht einmal bedauert.
Brunos Mutter stammte aus Deutschland. Ihre Familie war vor dem Krieg nach Amerika ausgewandert.
Bruno und seine Schwestern nahmen ihren deutschen Anteil kaum zur Kenntnis. Ihr gesamtes Umfeld bestand aus Iren, und sie waren auch welche. Sie hatten immer den Eindruck gehabt, dass ihr deutsches Blut sich weniger durchgesetzt hatte als das irische. Offenbar waren die irischen Gene dominant. Nur eines hatten Bruno und seine Schwestern von ihrer Mutter geerbt: ihre seelenvollen braunen Augen.
Sie war eine zurückhaltende Frau, und alle nahmen an, dass auch sie irische Vorfahren hatte. Nein, ich bin aus Deutschland, sagte sie dann. Und die Leute reagierten überrascht und erwiderten, darauf wären sie nie gekommen.
Zu Hause sprach sie nicht deutsch. Nur wenn sie die Großeltern besuchten, hörte Bruno die deutsche Sprache. Er erinnert sich, dass er auf einem Schemel in ihrem dunklen Wohnzimmer saß und seiner Mutter beim Reden zusah. Er weiß noch, wie er ihr Gesicht gemustert hat, in der Hoffnung, sie zu verstehen, indem er sie einfach beobachtete. Und auch, wie entsetzt er war, als er feststellte, dass er keine Ahnung hatte, wovon die Rede war. Er erinnert sich an die Panik und an das Bedürfnis, aufzuspringen und sie anzuschreien. Es war, als sei sie ein anderer Mensch geworden und nicht mehr seine Mutter. Erst als sie wieder wohlbehalten im Auto saßen und sie nur noch englisch sprach, fühlte Bruno sich geborgen.
In ihren letzten Lebensjahren verfiel sie immer häufiger in ihre Muttersprache, und zu guter Letzt sprach sie nur noch deutsch.
Jeden Montagabend nach der Arbeit verbrachte Bruno eine Stunde in dem Lehnsessel neben ihrem Bett und hörte zu, wie sie mit leiser Stimme von Menschen und Orten aus ihrer Vergangenheit erzählte. Er saß da und lauschte, ohne etwas zu verstehen, so wie damals als kleiner Junge. Nur, dass er diesmal keine Angst verspürte, sondern nur Staunen über die schönen Klänge, die aus ihrem Mund kamen. Er schloss die Augen und genoss die melodische Stimme, die angenehmen Laute, die für ihn keinen Sinn ergaben. Er hörte einfach zu, als wäre es Musik. Bruno wird nie begreifen, warum so viele Menschen Deutsch für eine hässliche Sprache halten.
Streng genommen sprach sie ja Schwäbisch. Ein reizender, weicher Dialekt, dessen Satzmelodie auch ihr Englisch beeinflusste, so dass ihre Stimme ein wenig nach oben wanderte, wenn man es am wenigsten erwartete. Es war ein Akzent, der gleichzeitig Sanftheit und Gewissheit ausstrahlte, was ausgezeichnet zur Persönlichkeit seiner Mutter passte.
Seit Bruno denken kann, hat seine Mutter ihm gesagt, er werde die Liebe erkennen, wenn er sie gefunden habe. Bruno hat das so gedeutet, dass die Liebe ihn finden und dass sie über ihn hereinbrechen würde, ohne Raum für Zweifel zu lassen. Jahrelang ist er durchs Leben gegangen und hat mit einem Blitz aus heiterem Himmel gerechnet, der niemals kam.
Selbst als im Laufe der Jahre eine Ehe nach der anderen scheiterte, geriet die Gewissheit seiner Mutter nicht ins Wanken. »Du hast einfach noch nicht die Richtige getroffen«, beharrte sie. Wenn seine Mutter sprach, kehrte das Ende jedes Satzes zum Anfang zurück, als ob Worte gegen ewige Wahrheiten nichts auszurichten vermochten. »Wenn du sie triffst, wirst du es wissen.«
Inzwischen glaubt Bruno zu verstehen, was sie gemeint hat.
Addie war ihm auf den ersten Blick vertraut erschienen. Obwohl er sie noch nie zuvor gesehen hatte, war es, als ob er sie kannte, ja, als ob er ihr schon einmal begegnet sei. Selbst wenn er sie jetzt betrachtet, hat er dieses eigenartige Gefühl der Vertrautheit. Er kennt ihr Gesicht.
Vielleicht liegt es ja daran, dass wir verwandt sind, denkt er, nimmt das Familienfoto aus dem Notizbuch und betrachtet es noch einmal. Das könnte eine Erklärung sein. Er mustert die Gesichter und hält Ausschau nach einer Ähnlichkeit mit Addie, kann aber keine entdecken. Sie hat nichts mit diesen Frauen gemeinsam.
Die Vertrautheit, die er empfindet, hat ihren Grund nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft.
Seltsam, wie rasch man sich daran gewöhnte, neben jemandem zu schlafen.
Ständig streckte er im Bett die Hand nach ihr aus und wachte jedes Mal auf, wenn er
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