Liebe in groben Zügen
echten Türkin, der besten, wenn es darum ging, mit einer wie Hayat Yilmaz noch mitzuhalten oder sich selbst wieder mehr zu mögen.
Ihr Telefon zirpte im Mantel, sie stand noch in Podaks Studentenbudenbüro, es war Renz’ Zeit, wenn er am Nachmittag durchhing, na, Vila, was tust du, früher die Frage, wenn er eigentlich ins Bett wollte mit ihr, noch vor dem Abend, um dann entspannt zu essen, und sie zog das kleine Ding aus der Tasche und sagte einfach Ja, während Podak sein grünes Cordjackett anzog, erstes Feierabendzeichen, und am anderen Ende auch ein Ja, aber offen für alles, ein bühlsches Ja. Und nach leisem Räuspern, als sei er verlegen, eine Mitteilung, die ihr gerade noch den Raum ließ, Podak zuzuwinken und dabei schon, mehr rückwärts als vorwärts, aus dem Büro zu gehen, in einen der trostlosen Flure des Senders, in dem Moment eine Sonnenpromenade – Bühl war in Frankfurt. Er kam aus München und war am Bahnhof, mit drei Stunden Zeit, kurz vor neun ging der letzte Zug nach Freiburg. Dort hatte er am anderen Tag einen Notartermin, seine alte Kinderfrau wollte auf ihre Art sterben, sie brauchte eine Patientenverfügung, besser heute als morgen, was nichts an ihrem Treffen im Schnee änderte, es war nur ein Vorabbesuch; all das erfuhr sie noch in den labyrinthischen Fluren des Senders, das Telefon ans Ohr gepresst, die freie Hand auf dem anderen Ohr. Drei Stunden, sagte sie, dann gehen wir essen, italienisch, chinesisch, indisch, es gibt alles in der Gegend, was willst du? Sie kam endlich aus dem Gebäude und lief Richtung U-Bahn, der schnellste Weg zum Bahnhof. Er war für indisch, er kannte ein Lokal in der Moselstraße, nur nicht den Namen, neben dem Lokal das Hotel Nürnberg, also gut zu finden, und sie fragte, ob es ein heller Inder sei, womöglich Neonlicht: Ich sehe schrecklich aus, willst du dir das antun? Sie rannte jetzt fast zur U-Bahn, hin- und hergerissen, ob sie noch nach Hause sollte, sich umziehen, frischmachen, irgendwie frisieren, zwanzig Minuten oder mehr opfern von den drei Stunden, und von ihm ein weiteres Ja, ja zu allem an ihr, und von ihm nur ein Komm einfach.
ES war kein helles Lokal, und er saß in der hintersten Ecke, einziger Gast am frühen Abend, vor sich eine Tasse Kaffee, Bleib, sagte Vila, als er aufstehen wollte, und schon saß sie bei ihm und umschlang seinen Arm, wie als Kind den ihres Vaters, damit er nicht wegkam ohne sie. Dann lange Sekunden kein Wort, sie mit einer Hand halb vorm Gesicht, schau mich nicht an, bis er die Hand sachte beiseitezog und ihr mit den Knöcheln über die Wange strich, einmal, zweimal, den kleinen Finger fast am Mundwinkel; er saß in einem billigen Jeanshemd da, H&M oder Tchibo, neben sich eine Winterjacke, er war rasiert, und das Haar fiel ihm in die Stirn. Essen wir etwas, sagte er, wie geht es dir, hast du Appetit? Er schälte ihr die Wollmütze vom Kopf, mehr hätte er sie kaum ausziehen können, auch nicht in einem Bett, er begann sie mit den Fingern zu kämmen, etwas, das sie noch nie gewollt hatte, noch nie zugelassen, und jetzt ließ sie es zu oder einfach geschehen. Ein Kellner brachte zwei Speisekarten, eine kleine Schrift, sie hätte die Lesebrille aufsetzen müssen, Bestell mir etwas ohne Fleisch, sagte sie, und er bestellte Aloo Gobi, Blumenkohl mit Kartoffeln und Gemüse, und für sich Tandoori Chicken. Willst du Tee? Er hielt sie im Nacken, während er die Teesorte wählte, er kannte sich aus, wie mit zerdrückten Haaren. Ich bin froh, dass du da bist: das erste Wort an ihn, für sie selbst überraschend – wann war sie schon, todmüde neben einem Mann, froh gewesen, ja bis zu dem Moment hätte sie kaum sagen können, wie sich das anfühlt, so froh zu sein, für sie nur das Wort aus einem alten Kinderkanon, Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König! Es war das Wenige, das sie froh machte, mit ihm für drei Stunden in diesem zum Glück eher dunklen Lokal im Bahnhofsviertel zu sitzen und nicht in einem Hotelbett zu liegen mit der Aussicht auf ganze Tage und Nächte. Wie war München, fragte sie, und Bühl erzählte von den Stunden mit Renz, sein Arm noch immer in ihren Armen.
München oder ein langer Abend in der Bar des Hotels Vier Jahreszeiten – er hatte sich überreden lassen, das Treffen von der Bahnhofsumgebung dorthin zu verlegen – war keine Enttäuschung, wie von ihr angenommen, weil Renz und er unter sich waren. Frau Mattrainer schafft es nicht, Renz’ Begrüßungsworte noch in der
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