Liebe in groben Zügen
schönen Lobby mit dem Glasfenster in der Decke, sie lasse ihn aber sehr grüßen, man werde das alles nachholen, so ein Projekt ziehe sich ja über Jahre hin. Und dann hatte Renz sein Leid geklagt, mit einer ihm nahestehenden Producerin ohne große Chance, den fertigen Zweiteiler je zu sehen, ja sich sogar trösten lassen und ihn, seinen Mieter, dafür immerhin zu einem Caesar Salad und später noch zu Rindercarpaccio und auch allen Getränken eingeladen, ein Abend bis zur Schließung der Bar gegen zwei. Und zwischen dem Essen und Mitternacht haben wir tatsächlich gearbeitet, sagte Bühl. Am Exposé, an den Figuren, einem deutschen Bezug. Aber vor allem an der Geschichte von Franz und Klara – hatten die beiden nun was, oder hatten sie nichts? Dein Mann hat mich geradezu verhört: gibt es Belege, Anspielungen? Er hatte ein kleines Gerät dabei und nahm alles auf, machte sich aber auch Notizen. Keine Belege, keine Anspielungen, nur Legenden, es gibt nichts, sagte ich. Oder nur unseren Liebesverstand und die Kühnheit, ihn auf Franz und Klara zu übertragen. Franz hatte sicher das Talent, die Hingabe einer Frau herbeizurufen. Und Klara hat den Ruf gehört.
Das hast du gesagt: die Hingabe herbeirufen?
Ja, warum nicht.
Und Renz? Vila sah auf den Mund, aus dem Worte kamen, die andere längst abgeschrieben hatten, und Bühl erzählte leise weiter. Dein Mann hat zugehört. Franz hatte also dieses Talent, sagte ich. Mit seiner Stimme, seinem Tanz, er war auf seine Art ein Derwisch. Aber welches Publikum, das nicht mehr gewohnt ist, einer Fiktion zu vertrauen, würde da mitgehen? Ich hatte Bedenken gegen das Ganze, und dein Mann tat alles, um sie mir zu nehmen. Wir werden Jahreszahlen und Ortsangaben einblenden. Und mit einer Erzählerstimme arbeiten, dazu die Originalorte. Sind Sie dabei? Das wollte er wissen, er nahm sogar kurz meine Hand, und ich versuchte ihm klarzumachen, dass die Geschichte von Franz und Klara nicht fürs Fernsehen taugt, es gibt dazu keine Bilder, es gibt auch kaum Worte. Oder wie lässt sich zeigen, dass die beiden zu einem Paar werden, weil sie nichts besitzen: nur dadurch können sie ja alles zusammenwerfen. Ein Herz zu besitzen reicht aus. Franz liebt Klaras zerbrechliche Stärke. Sie liebt seine mächtigen Schwächen. Beide sind nur das, was sie zusammen tun. Beten, lieben, fasten. Klara bringt Franz dazu, seine ganze Existenz auf sich zu nehmen, also auch die als begehrender Mensch. Soll das ins Fernsehen, fragte ich, und deinem Mann gingen langsam die Argumente aus, er wollte nur noch die reinen Fakten hören, Franz, der junge Playboy, der Möchtegernritter, der im Kerker landet, seine Bekehrung, die ersten Predigten, Franz, der Freund aller Tiere, der Armen und Aussätzigen, der Naturliebhaber. Machen wir einen Ökostoff daraus, sagte er, und ich sagte, wozu.
Das hast du gesagt?
Ja. Wozu. Ich glaube, er hat die Frage noch nie gehört. Er machte dann sein Gerät aus und steckte den Block ein, und wir sprachen über das Haus und den Garten, aber irgendwie kam er auf das Thema Liebe zurück, er wollte wissen, welche Filme und Bücher mir dazu einfielen, also sprachen wir über Filme und Bücher, passend für die Zeit zwischen Mitternacht und der Schlussnummer des Barpianisten, ein Künstlergreis mit langem Haar und Schlapphut, der noch einmal A kiss is just a kiss spielte. Danach unser Abschied bei den Taxis, dein Mann wollte zu seiner kranken Producerin und ich zu einem Hotel am Bahnhof, und erst im letzten Moment, wir hatten uns schon die Hand gegeben, die einzige persönliche Frage: Was halten Sie überhaupt von meiner Frau, von Vila? Das waren seine Worte. Und meine Antwort: Oh, Sie sind zu beneiden.
Warum oh, fragte Vila, als das indische Essen schon auf dem Tisch stand, zwei Teller nebeneinander, so wie sie auch immer noch nebeneinandersaßen.
Weil du erstaunlich bist. Man sieht dich an – Bühl sah sie an, ein Stück Huhn auf der Gabel – und sagt sich: Oh.
Oh, was? Vila drückte die Stirn an seine, wie ein siamesischer Wunsch: mit zu ihm zu verwachsen, und er hielt dagegen. Oh alles. Oh, welche Stirn, welche Augen, welche Fältchen, welch ein Mund. Wollen wir jetzt essen? Er biss in das Chickenstück, und sie ließ zum ersten Mal seinen Arm los. Das Lokal hatte sich etwas gefüllt, alle Fenstertische waren besetzt, Inder und andere, nur Männerquartette, und immer wieder Blicke zu dem Paar, das beim Essen nebeneinandersaß statt gegenüber: Vilas Erklärung, aber nur für sich
Weitere Kostenlose Bücher