Liebe in groben Zügen
Mitternachtstipps: die ihr im Einzelnen noch viel zu lang waren, lieber zehn Minitipps als drei Filme, die ja als Filme zu kurz seien und als Appetizer zu breit. Vila machte sich Rührei, dann nahm sie ein Bad, sie musste gesund werden. Nach dem Bad ging sie an ihren Schreibtisch und entwarf die Anmoderation für Havanna und Fernández, anschließend holte sie sich das Charela Inn auf den Schirm, ihr Familienhotel am Strand von Negril, Weihnachtsfluchtort, seit Katrin die Verkrampfung ihres Vaters angesichts eines Christbaums in der Wohnung übernommen hatte. Katrin wollte zu zweit kommen, mit ihrem neuen Begleiter, das war ihr Ausdruck, und es gab noch freie Zimmer zum Innenhof, Standard rooms im Parterre, nicht attraktiv, aber ruhig, Vila buchte eins unter ihrem Namen, den kannte man im Hotel. Dann mailte sie Katrin die Daten, dreiundzwanzigster bis dreißigster Zwölfter – an Silvester wären sie und Renz schon wieder zurück, ihr Programmchef hatte zu sich eingeladen, die alljährliche Fritz-und-Friederike-Wilfinger-Party, auch für Drehbuchautoren ein Muss. Und besorge dir gleich den Flug, schrieb sie hinter die Daten, um die Zeit wollen alle fliegen. Wir freuen uns, Vila.
Wir, das waren sie und Renz, gestern, heute und morgen, auch wenn das Morgen nicht mehr sicher war. Den Rest des Tages lag sie im Bett, ein einziges Bemühen, nicht die Nummer zu wählen, die in Bühls Jacke ein Summen auslöste, ob in Assisi oder im Zug oder irgendeinem Münchner Hotel; er hatte ihr diese Reise nicht weiter erklärt, nur gesagt, er tue es für die Sache, aber welche? Letztlich kannte sie ihn so wenig, dass sie kaum wusste, was sie ihm zutrauen sollte. Vielleicht wollte er nur die Frau wiedersehen, die er als Schüler geküsst hatte und später an seinen Freund verloren; vielleicht wollte er wirklich zu dem Zweiteiler beitragen, seinem Franziskusstoff, und sich dabei Renz näher ansehen, oder nur das: den Mann ins Auge fassen, mit dessen Frau er etwas hatte, wie man sagt. Erst am späteren Abend wählte sie schließlich die lange Nummer, aber am anderen Ende die weibliche Stimme, die um das Hinterlassen einer Nachricht bat. Melde dich, sagte sie nach dem Piepton, nur diese dringenden, letztlich schrecklichen Worte, melde dich: seit Jahrzehnten nicht mehr gebraucht, zuletzt als sie Renz im ersten Jahr einmal hinterhertelefoniert hatte, weil er tagelang nichts von sich hören ließ, aus gutem Grund. Renz war in Berlin, ein Rückfall mit seiner Bühnenbildnerin, aber das erfuhr sie erst ewig danach, dass er damals ein paar Nächte gebraucht habe ohne das Umständliche der Liebe. Rein das Vergnügen, das waren seine Worte, so wie er im Moment vielleicht, bei seiner Kranken, die reine Nächstenliebe praktizierte – es war ihr egal oder hundert Mal unwichtiger als die Antwort auf ihr Melde dich, solange sie wartend im Bett lag. Wie lernt man, mit Rückzügen fertigzuwerden, ohne abzustumpfen? Sie hatte Renz damals schon nach drei Tagen für tot gehalten, die Möglichkeit, die sie noch am wenigsten in Verzweiflung stürzte.
Zähe Nachtstunden waren das, Stunden, die alt machten, am Ende ein todähnlicher Schlaf; das Erhoffte traf erst ein, als sie beim Frühstück saß, nach einer Nachricht von Renz, dass er noch zwei Tage bleibe, schon an dem Heiligentreatment sitze, eine Antwort, die sie später unter der Dusche vor sich hin sprach, Ichbinbeidir. Den halben Vormittag brauchte sie im Bad, um die Erschöpfung im Gesicht zu verwischen, dann fuhr sie in den Sender. Dort sah sie sich das Material für die Beiträge von Hayat der Scheintürkin an, ein Interview mit einem Straßensänger, der das Zeug zum Star hatte, und Bilder aus einem Geheimtippclub; sie gab ein paar Hinweise für den Schnitt und machte Vorschläge für den Off-Text, sie ließ sich von Hayat mit Kräutertee versorgen und sogar etwas bedauern, weil sie so blass war. Nachmittags traf sie sich mit Podak, der hatte Bedenken im Hinblick auf die Havannakiste, wie er den Film nannte: immer noch zu lang, immer noch zu kopflastig, also nur eine kurze Anmoderation, dann gleich die Salsakneipe, sein Rat. Und Wilfinger will bei der Abnahme dabei sein, sagte er mit kalter Pfeife im Mund, und von ihr bloß ein Nicken, um nicht zu sprechen, nicht zu husten, um eigentlich gar nicht da zu sein in ihrem Mantel und einer in die Stirn gezogenen Wollmütze, damit man die Krankenfrisur nicht sah; am Tag der Aufzeichnung hatte sie vorher einen Friseurtermin in der Stadt, bei einer
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