Liebe in groben Zügen
alle trainierten, hinter großen Fenstern auf Laufbändern liefen, verkabelt mit Pulsmesser und ihrer Lieblingsmusik; sie sah Edgar, mit dem sie die Après-Tango-Stunden auf Annes Praxisliege verbracht hatte, schon längst nicht mehr wahr, sie sah die Schaubs, die sich als Paar abquälten, wofür auch immer, und sie sah Heide ohne Jörg, Heide mit Cleanlight-Shirt in ihrer Domäne, beim Zusammendrücken zweier Eisenflügel vor Brüsten, die es gar nicht nötig hatten. Alle Freunde und Bekannten schienen im Unio zu sein, niemand könnte sie hören, und sie sagte Ichwilldich, ein Zuruf, der alles enthielt, Entschlossenheit, Verlangen, aber auch ihre Not, und am anderen Ende erst Bühls Atem und dann ein Sprung: Das waren auch Franziskus’ Worte zu Klara, als er sie zur Oberin machen wollte, Ich will dich. Und jetzt ist hier ein Tunnel, schick mir deinen Mund!, eine gerade noch empfangene Bitte.
Vila steckte das Telefon ein, da war sie schon an der Schadow und sah ihre Wohnung, das warme Licht in den Räumen, die sie seit vielen Jahren bewohnten. Siebenunddreißig war sie beim Einzug, und Katrin war zwölf, Renz Ende vierzig, er spielte noch Tennis. Alles erschien damals möglich, als sie die fünf leeren Räume mit dem neuen Parkett und der alten Stuckdecke und den weißen Wänden durchschritten und die Zimmer verteilten, das große hintere für Katrin, die mittleren für sich und Renz, die vorderen als Ess- und Wohnzimmer. Nur mit Matratzen und Bettzeug hatten sie die erste Nacht verbracht, Katrin war sofort Besitzerin ihres Zimmers, Renz hatte ihr eine Art Zelt gebaut, ein Laken zwischen Fensterbrett und Parkett, gehalten von Klebeband, darunter lag sie in Hosen und Sweatshirt nur auf einer Wolldecke: Katrin, die künftige Reisende zu fernen Zielen, schon ganz spartanisch, aber mit Kuschelhund, ihr kleiner Kasper mit auf der Decke. Es war Januar, und es lag Schnee auf den Straßenbäumen, und sie beide, die noch nicht alten oder gerade noch jungen Eltern, an dem Abend gleichaltrig, hatten sich in dem Zimmer, wo später all die Essen mit Freunden stattfinden würden, die Abende mit dem Streit danach, auf dem versiegelten Parkett umarmt, in einem Licht, wie es nur von außen hereinfällt, wenn es geschneit hat, ein verrücktes, tief beglückendes Tun, mal ineinander verschlungen, mal nur an einem Punkt verschweißt, und schließlich ein Hall von den nackten Wänden, als Renz in ihr kam, er nichts anderes als ihren Namen rief, so erschreckend klar, dass ihr Körper nachzog und sie mitkam – eins der wenigen Male, die ganz einfach waren, ohne Kampf, so einfach, wie es sein sollte, nur mit dem Gefühl, ihn und sich selbst bei diesem Tun zu lieben. Der beste Auftakt für die ersten Schadowstraßenjahre, dann irgendwann ausgeklungen, von keinem bemerkt, außer von ihr; sie allein hörte dieses Stillerwerden zwischen sich und Renz, je lauter sie manchmal stritten, desto mehr. All ihre Freunde und Bekannten würden sagen, dass sie und er sich irgendwie ergänzten, an sich vielleicht gar nicht zusammenpassten, aber dann doch, zu guter Letzt, eine Art Einheit seien, eben ein altes Paar, nur stimmte das nicht, wenn man genauer hinsah – nach unendlichen Kämpfen waren sie, zu schlechter Letzt, nichts als ein altes Paar.
Ein Auto bog in die Straße, Jörgs panzerartiger Jeep, und sie ging rasch durch den Vorgarten und sperrte das Haus auf und sah sich im Glas der alten Tür: eine Frau, die von der Arbeit kommt, mit müden Augen, müdem Mund. Und nur auf Strümpfen, ihre Schuhe in der Hand, um kein Geräusch zu machen, ja eigentlich gar nicht da zu sein, nahm sie die zwei Treppen und schloss leise die Wohnung auf und horchte wie eine Diebin hinein. Sie hörte die Dusche, das klatschende Wasser, wenn man, über die Wanne gebeugt, sein Haar ausspült, und noch im Mantel ging sie neben dem Eingang auf Zehenspitzen ins Gästeklo, wo es ein kleines Waschbecken mit Spiegel gab, aber der Spiegel groß genug, um ein ganzes Gesicht zu sehen, mal mit freier Stirn, mal mit den Haaren darin, mal mit engen Augen, mal mit geisterhaft weiten, dazu die Nase verzogen, den Mund, und auch die Zunge gezeigt, so, wie sie als Mädchen, nachdem ihr Vater verschwunden war, jeden Abend im Bad hinter verschlossener Tür Grimassen geschnitten hatte.
ICH will dich! Kein verbürgtes Wort, aber eins, wie Franz es selbst schon gehört hat, von Gott. Klara hebt den Kopf, und er muß ihren Blick ertragen, der Preis für solche Worte; ein Treffen zwischen
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