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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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hatte, darauf ein Bild seiner alten Schule, Aarlingen, die Badewiese mit dem Ruderhaus, im Hintergrund über dem Sportplatz der Hesse-Saal. Ehemalige hatten von einem Lehrer berichtet, sogar mit Namen, weil er tot war, Gerd Heiding, von einem jahrelangen Treiben, von der Schulleitung übersehen, und ein zweiter Link führte zu einer Kontaktadresse, darin enthalten noch ein einschlägiger Name, wie ein Nagel durch sein Leben, immer im Weg, auch wenn er den Namen nicht in den Mund nahm, [email protected].
    Und der Zug Richtung Verona wäre fast ohne ihn abgefahren; noch etwas atemlos vom Rennen saß er in einem Großraumwagen am Fenster und sah auf die Vororte, die gar nicht enden wollten, auf den Knien das Notebook, zugeklappt, als sei damit auch Aarlingen zugeklappt, die Dinge von einst, die ja vor allem ihn betrafen, und die Dinge von jetzt, erzählt von einem, der selbst nie ein Heiding-Erwählter war. Bühl drückte die Stirn ans Fenster, es war längst dunkel, die Vororte bloß noch Leuchtschriften auf Dächern, Lavazza, Motta, Fini, Namen, die etwas Beruhigendes hatten, aber die anderen Namen nicht löschten, schon gar nicht die alten Zeichen wie das an Heidings blassgelbem Käfer Cabrio, zugelassen in Freiburg, FR–AU, wie Frau, das fand er spaßig oder unterfitzig, der Lehrer aus Freiburg-Wiehre: in den Ruderhausnächten waren sie auch durch dieselbe Sprache verbunden. Und nun kamen Dinge zu einer Sprache, die mit den Dingen wenig zu tun hatten, und das Ganze betrieben von dem Freund, der keiner mehr war, Vorsitzender eines Komitees zur Aufklärung der zurückliegenden Fälle und eines Aarlinger Neuanfangs, von Cornelius, der alles nur von ihm, seinem Helfer im Dickicht des Lateins, hatte. Er war sogar mit Foto zu sehen, immer noch die nass nach hinten frisierten Haare, der schmale, aber breite Mund, sein Spalt im Kinn, die Haltung wie ein Fernsehkommissar, der zur Aufklärung ausschwärmt, mit Waffe und Handy statt mit Voltaire und Lessing. Und im Übrigen präsentierte er sich als geläuterter Banker, der jedem Verschleiern fortan entgegentritt, seiner Vita nach zurzeit beratend tätig, Pendler zwischen London, Frankfurt und Zürich, also auch beruflich häufig in Bodenseenähe, um in Aarlingen vor jeder Kamera aufzutauchen. Und Kommissar mit Waffe war nicht irgendein Bild, das war Cornelius der Aufklärer, der eigentlich nur aufräumen will, aber auch Cornelius, wie er schon als Junge mit ihm durch die Wiesen zwischen Zartenbach und Unterried zog, einen Kleinkaliberrevolver bei sich, um unter dem Getier aufzuräumen, Spatzen, Eichhörnchen, Frösche; er selbst besaß damals ein Luftgewehr, auch dabei auf den Streifzügen, versteckt in einer Sporttasche. Cornelius wollte nichts als töten, ein ansteckender Wunsch, kein Ferientag, an dem sie zusammen waren mit vierzehn, fünfzehn, ohne erlegtes Tier.
    Regen schlug an die Scheibe, man sah kaum noch Lichter, der Zug jetzt in der Ebene zwischen Mailand und Bergamo, ein ermüdendes Tacktack, Tacktack von den Schienen – mit fünfzehn, sechzehn hatten die Streifzüge mit Luftgewehr aufgehört, im Grunde waren sie vernünftiger als Franz, der mit zwanzig in den Krieg gegen Perugia zieht, von seinen Waffen Gebrauch macht, das Schwert in einen Hals sticht, Blutbäder anrichtet, die ihn später einholen, wenn er lange allein ist, lange fastet, delirierend vor Kälte und Hunger im Halbschlaf liegt wie in dem Felsspalt auf der Landzunge San Vigilio. Alles kehrt dann zurück, die Schreie der Freunde, wenn sie die eigenen Knochen sehen, seine Schreie, um sich Mut zu machen, das Schwert ins fremde Fleisch zu stoßen, den Tod zu bringen, so wie die Feinde den Tod bringen, ihre Lanzen in die Flanken der Pferde treiben, auch in seins: das unter ihm brüllend zusammenbricht, sich im Sand wälzt, ein Brüllen, das Franz wieder im Ohr hat, und dabei ist es nur der aufgewühlte nächtliche See, den er hört.
    Auch am anderen Morgen immer noch spitze Wellen und rollender Uferkies, ein klarer Dezembertag, es geht schon auf Christi Geburt zu, die Heilige Nacht will er noch allein verbringen, dann aufbrechen zu den Brüdern in Bologna. Tagsüber beruhigt sich der See, und gegen Abend ist er so glatt, daß Franz einen Fuß und noch einen Fuß daraufsetzt, aber das Wasser gibt nach, und er kriecht naß in seinen Felsspalt. Mit Laub bedeckt, hockt er darin, die Fäuste gegen den leeren Magen gepreßt, halb träumend, halb wachend, um mit dem ersten Vogelruf aufzustehen,

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