Liebe in groben Zügen
Und eigentlich sollte er davon wissen, oder wissen, dass sie ihn manchmal streicheln möchte, wenn sie an Bühl denkt, weil Bühl minus Renz ihr zu viel werden könnte wie ein Zuviel an Sonne. Oder das Strahlen von Renz in den ersten Jahren, bis sie nicht mehr gesehen hat, was er so alles nebenher tat. Sie war wie diese selbstlosen Hälften von Karrieretypen, die nur schnell nach oben kommen, weil ihre Frauen für sie die Räuberleiter machen, immer wieder, bis es dann zu selbstlos wird mit einer, die sich in die gefalteten Hände und auf die Schulter steigen lässt, und man sich einer anderen zuwendet, nicht erschöpft von Steigbügelhalten und Kindererziehung und mit Augen, die nur sehen, was man erreicht hat, und nicht, wie man ist, Augen einer jüngeren mit Tattoo auf der Schulter statt Schuhabdrücken. Renz weiß, wie sie darüber denkt, sie hat es oft genug gesagt. Diese Typen gehören geohrfeigt, dass die Designerbrille wegfliegt, hat sie gesagt, und eigentlich gehört sie auch geohrfeigt, weil sie auf Renz’ Schultern steht, wenn sie liebt. Das Lieben ist die Karriere der Frauen. Und auch dort erreicht eine den Gipfel umso leichter, je mehr Halt sie hat. Armer Renz, der nichts ahnt. Und auf Zehenspitzen stehende arme Vila, die sich nach Bühl sehnt – vielleicht hätten sie bei ihren Passnamen bleiben sollen, Verena und Bernhard, zwei, die sich treu sind bis zum Ersticken. Kein Wunder, dass es auch nur ein einziges Passfoto ihrer Ehe gab, wenn so etwas wie ein Ehepass Pflicht wäre. Sie beide am Strand von Djerba, aufgenommen von einem Tunesier, pouvez vous prendre une photo de nous?, ein schönes reifes Paar, Mann und Frau ausgewogen, zwei Körper, die zusammengehören, ein Bild wie das Cover für eine Ehesexfibel, gemacht mit ihrer ersten Digitalkamera und später, als es auf einem Laptop war, nicht versehentlich gelöscht, wie Renz immer noch glaubt, sondern in einem Anfall von Wut, nachdem sie erfahren hatte, warum er irgendwann nach Graz geflogen war: nicht weil er den jungen Schwarzenegger als Stoff entdeckt hat, seine Erklärung, sondern vorher eine Schauspielerin, die dort am Theater war. Lange her und doch Gegenwart, unauslöschlich, und eher ein störendes Geräusch als schmerzliches Bild, eine Art Tinnitus, mal leiser, mal lauter wie das Tosen im Gotthardtunnel. Die Bilder liegen darunter, auch solche, die gar nicht aus ihren Leben stammen, nur in ihm aufgehen, mit Teilen ihrer selbst zu einer Deckung kommen, die sie entsetzt. Wie die Bilder oder Filmsequenz, in der die Ehefrau des künftigen Kanzlers Kohl, wenn er es nicht schon war, in heller Bluse und frisch vom Friseur zu Hause an einer Schreibmaschine sitzt, Momente lang ganz für sich etwas tippt, ohne Vorlage, eine denkende Frau, bis ihr Mann in weißem Hemd und Strickjacke, eine Pfeife in der Hand oder im Mund, aus einem Nebenraum kommt und sich schräg hinter sie stellt, ihr kritisch-zufrieden über die Schulter sieht, worauf das Tippen langsamer wird, ja fast verebbt, nur mehr eine Geste für die Kamera, bis es wieder anzieht, als sich ihr Mann über sie beugt, und zu einem Abtippen wird, während der Blick ins Weite geht, durch ein Panoramafenster in den Garten oder ein intimes Fenster in sich hinein, wo es dunkel zu sein scheint, von jener Dunkelheit, in die sie sich am Ende flüchten sollte, damit innen und außen wenigstens einmal übereinstimmen, ein Augenblick des Abschweifens, ehe der Blick, lange vor diesem Ende und der Nacht der zu vielen Tabletten, aber schon auf dem Weg dorthin, nach oben geht, zu dem, der ihr eine Hand auf die Schulter legt: Das Schlussbild der Ehepaar-Kohl-Sequenz, soweit sie sich erinnern konnte. Und sage ihr niemand, Frauen seien heute ganz anders. Sie weiß, dass etwas von dieser Abtippenden mit steifer Frisur in ihr steckt, weil es in jeder Frau steckt, wenn sie von Männern gesehen werden will, wie ja auch von Renz etwas Aufgeblasenes ausgeht, ein sich Rundfühlen – Ichbinich, wann könnte sie das schon sagen, nicht einmal mit Bühl im Bett, wer liebt, fühlt sich im anderen rund, sie könnte es nur hier im Wagen sagen: Ich bin die, die durch den Berg fährt, bei allem tosenden blendenden Gegenverkehr die Spur hält in dieser Tunnelröhre, die nun endlich breiter wurde, endlich an ein Ende kam. Im Radio wieder, erst noch knisternd, das Mahler-Konzert, die Sinfonie für Sopran und Orchester, wie es geheißen hat, und gern hätte sie mehr erfahren, mehr über Mahler, von dem sie nur wusste, dass er zu
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