Liebe in groben Zügen
soll ich jetzt tun? Er griff Bühl an den Arm, ein trainierter Arm, er fasste sich an die Stirn. Ich wollte eigentlich abreisen heute.
Dann reisen Sie ab, sagte Bühl.
Glauben Sie, ja? Renz steckte sein Telefon ein. Gut. Und sollte meine Frau hier anrufen, nach dem Haus fragen, dann nur beruhigende Worte. Alles ist in Ordnung. Das andere ist schlimm genug. Und ich weiß: Dahinter steckt nichts weiter als ein gutaussehender Typ. Katrin hatte immer gutaussehende Typen, ihr erster war halb Franzose, halb Marokkaner, da war sie sechzehn. Ihr Held Franziskus könnte so ausgesehen haben, vor seiner Bekehrung. Kommen Sie voran mit der Arbeit? Renz tippte an das beschriebene Blatt, dann gab er Bühl die Hand und stand auch schon auf, Bleiben Sie sitzen. Aber hüten Sie unser Haus! Sein Schlusswort, im Weggehen.
UND Bühl, der kam voran, nicht schnell am Notebook, Zeile auf Zeile, nur stetig in der abendlichen Stille des Hauses, am Esstisch über Papier gebeugt. Seine Schrift eng, zwischen den Wörtern kaum eine Lücke, die Sätze glichen den Ameisenstraßen in den unteren Räumen. Gegen die Eindringlinge streute er Backpulver, wie es die Tulla, seine Kinderfrau, früher getan hatte, stets um ihn, wenn der Vater in Thailand war, Seide kaufte und sich herumtrieb und die Mutter ihre Kulturabende gab. Die Ameisen naschten von dem Pulver, quollen auf und zerplatzten, ihre Kadaver, ein schwarzbrauner Teppich, fegte er zusammen und warf sie nachts in den Hühnerpfuhl des unteren Nachbarn. Er schlief wenig und schwamm morgens im Pool, schnelle Runden im schon kühlen Wasser, eine Abhärtung, wie sie Franz in Bächen oder im Schnee gesucht hatte. Und in den ersten Tagen lebte er nur von Gartenfrüchten, Feigen, Äpfel, Brombeeren: ein Experiment, wie auch jede Stunde allein mit sich und dem, was er zu Papier brachte, als einen zweiten, unantastbaren Körper aus Worten, die aber erst richtig Sinn machten, wenn er sie sich abends selbst vorlas und seine Stimme das Haus erfüllte.
Franz läuft barfuß am See, eine Gestalt in grauer Schafwollkutte, grob vernähten Flicken, ohne Ärmel, ohne Kragen, eine Vogelscheuche, könnte man denken, würden nicht Spatzen heranflattern, sobald er die Arme ausbreitet. Sie lassen sich nieder und picken zwischen den Hautfalten, sie zwitschern, und er zwitschert zurück. Sein Haar und der Bart sind zerzaust, die Augen eingesunken, mager der Hals. Er ernährt sich von Fallobst und schläft in Ställen, an die Ziegen geschmiegt, er wäscht sich im See. Von San Damiano kommt er, dem Haus, das seine liebste Schwester leitet, und er will ins Trentin, seit Wochen ist er allein. Klara wollte nicht, daß er geht, am Ende vom frühen Winter der Berge umschlossen wird, sie hielt seine Hand, und er floh förmlich, er müsse zu den Brüdern im Trentin, ehe sie nach Augsburg wanderten, um dort zu wirken. Ave viator, Klaras letztes Wort an ihn. Er pflückt zwei Feigenblätter und legt sie sich auf die Augen, er hört ihre Stimme in sich, keine Frau kann so leise reden wie sie. Chiara intissima. Seine schlechten Augen nützen nichts in ihrer Nähe, nur taube Ohren. Ihr Flüstern in der Dunkelheit brennt noch in ihm. Vorher durfte allein Pica, die Mutter, im Dunkeln zu ihm reden, piccolino, poverino, Wörter, die wärmen. Ein Jahr Kerkerhaft in Perugia hat sie ihm weggeflüstert. Franz liegt auf dem glatten Fels vor Torri, die Oktobersonne trocknet seine Kutte. Es ist still, und er spürt sein Herz, wie es im Liegen schlägt, als er Schritte hört – ein Mädchen, barfüßig, auf Zehenspitzen, die junge Wäscherin mit dem Haar, das sie nie opfern würde. Sie bleibt stehen, und er fragt nach dem besten Platz für eine empfindliche Pflanze. An der Stadtmauer, sagt sie, ganz in der Nähe, der Stein dort auch nachts noch warm von der Tagessonne. Franz nimmt die Blätter von den Augen, und sie geht auf ihn zu, er zeigt ihr den Samen. Limone, sagt er, und sie spricht es nach. Ihre Stimme ist rau und doch nah am Gesang. In seinem Säckel sind auch Zitronenblüten, er zerreibt welche zwischen den Fingern und läßt sie daran riechen. Sie wirft den Kopf zurück und stößt einen verbotenen Laut aus. Gottes Werk, dein Seufzen, sagt Franz, nicht das meine! Und er läßt sie noch einmal riechen.
Bühl war in den Sätzen, wie andere unterwegs sind, fremde Länder erkunden, ein Vorstoß ins Unbekannte, nur mit dem Kompass oder Kompaß der gelernten Schreibweise. Und mitten bei der Arbeit das Telefon, Renz aus Chioggia: ob seine
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