Liebe in groben Zügen
Caffè-Bar noch einmal sein Pathologinnen-Skript, das Ausdenken immer raffinierterer Tötungsarten, damit die schöne Pathologin glänzte. Und beim Abendessen das neue Projekt, die Seearztserie, Marlies wieder mit Ideen zu Ideen, die dem Ganzen auf die Sprünge helfen sollten, zwischendurch ihr Rauchen im Freien, immer von ihm begleitet, sie beide auf einer kleinen Brücke, nicht ganz Schulter an Schulter. Zuletzt auch noch ein Nachtgespräch über Filme, kluge und dumme, halb Verhör, halb Flirt. Und erst am Abreisemorgen – gegen die Zimmerfenster tickender Regen –, als sie in der offenen Verbindungstür plötzlich voreinander standen, er schon fertig angezogen, sie mit noch bloßen hellen Beinen, vom Hotelbademantel nur nachlässig verhüllt, das Überwältigende eines Augenblicks. Renz schloss ihr den Mantel, nahm aber seine Hand nicht weg, und von Marlies mehr als nur Stillhalten, ein stilles Gutheißen, einer jener Momente – der Griff von hinten um eine Schulter, das Schließen eines Knopfes, der nicht der eigene ist –, die über ganze Strecken des Lebens entscheiden. Eben war alles noch offen, ein Spiel, und jetzt zieht sich schon eine Schlinge zusammen. Die fremde Schulter bleibt ruhig, ja kommt der fremden Hand mit ihrer Ruhe entgegen (schwer zu sagen, wie: die versteckte Grammatik solcher Momente), und den Knopf oder Bademantel des anderen zu schließen fügt sich in etwas, für das es noch keine Worte gibt. Die Anfänge von Liebesgeschichten liegen vor den Geschichten, in einem pantomimischen Raum; Marlies sah auf Renz’ Hand, die ihr den Bademantel zuhielt, die kleine Nachlässigkeit behoben hatte, ohne sie aus der Welt zu schaffen, ein Blick an sich herunter wie auf einen frischen Fleck – schlimm oder nicht schlimm? Und auf einmal legte sie ihre Hände um seine Hand, die Art Bewegung, bei der man nichts weiter als zusehen kann, was ist nur in meine Hände gefahren? Liebende entscheiden sich nicht, sie sind entschieden – es war ein entschiedener Druck auf Renz’ Hand, gegen den Schwung eines Schenkels unter dem Bademantel und auch zwischen den nur lose zusammengehaltenen Hälften. Drei Hände waren jetzt beschäftigt, eine Hand war noch frei, Renz legte sie mit den Knöcheln an Marlies’ Schläfe, und sie drückte dagegen: Seit Jahren hatte keine Frau mehr so deutlich ja zu ihm gesagt, ja, ich will, aber gib mir noch Zeit, lass uns erst eine Geschichte anfangen, auch wenn wir nicht wissen, wohin sie führt.
Und dann nahm sie ihre Hände zurück, und er ließ den Bademantel los, der Abbruch der Situation, das Ganze nur eine Sekundensache, keine zehn Herzschläge zwischen Vorsicht und Leichtsinn. Marlies machte kehrt, sie schloss die Verbindungstür hinter sich, Renz ging schon nach unten. Und beim Frühstück von ihm der Vorschlag, trotz Regen nach Lucca zu fahren, für eine Nacht, dann vielleicht weiter nach Assisi: eine Idee wie das unerbittliche Wirken von Gift.
*
III
REGEN in ganz Norditalien, tagelang. Über Torri und dem See ein Schütten aus hängenden Wolken, Bühl sah kaum den Kirchturm vom Haus aus. Aber er nutzte weiter den Pool, ein Pensum zwischen welken Blättern vor seiner Arbeit am Esstisch. Nachmittags dann Gänge durch den Olivenhang, alte, nasse Wege zwischen geschichteten Steinen, viele Käfer, viele Vögel, einmal ein großer Lurch. Und abends im Haus sein Achten auf jedes Geräusch, das Knacken im Holz, ein Fliegensummen, den eigenen Atem. Er war allein, wie andere zu zweit sind, allein mit sich, bis Mitte der ersten Woche, tief in der Nacht, er hatte schon geschlafen, als im Wohnraum das Telefon ging.
Vila. Knapp ihr Name, dann Stille in Erwartung einer Antwort. Wie spät ist es bei Ihnen, fragte Bühl; er suchte einen Lichtschalter, auf dem Telefontischchen am Sofa stand eine Lampe, ohne Schalter. Die Lampe beim Telefon, wie geht die an? Er stieß sie fast um, und vom anderen Ende die Anweisung, am Kabel zu ziehen: Der Schalter liegt hinter dem Sofa. Und hier wird es jetzt dunkel. Kommen Sie zurecht? Vilas Stimme klang nah, nur gestört durch ein Donnern. Er zog an dem Kabel, der Schalter war mit Klebeband umwickelt, aber das Licht ging an. Und das Wetter in Florida? Bühl rückte die Tischlampe wieder gerade. Wo sind Sie im Moment?
Nicht dort, wo Sie denken. Ich bin in Montego Bay, Jamaika, in einem alten Hotel, es heißt Casablanca wie der unverwüstliche Film. Können Sie mich verstehen? Hier kracht die Brandung, das Hotel liegt auf einer Klippe. Vor Jahren
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