Liebe in groben Zügen
Frau sich gemeldet habe. Seine Frau, nein, warum. Warum? Weil Vila sich bei mir erst einmal gemeldet hat, auf der Mailbox, und ich sie auch nur so erreiche. Sie ist entschlossen, nach Havanna zu fliegen, vielleicht auch schon dort, ich weiß es nicht. Aber sie weiß, dass ich nicht in Frankfurt bin. Mach du deine berühmte kleine Arbeitsreise, ich mache meine: ihre Worte, was soll man da tun? Renz schien im Freien zu telefonieren, im Hintergrund Kinderrufe, Glockengeläut. Das, was man für richtig hält, sagte Bühl, eine Lehrerantwort; danach nur noch das Nötigste bis zum Auflegen.
WENN der lebenslange andere verstummt, nur noch als Stimme auf der Mailbox spricht – eine Konserve des Verschwindens, je öfter man die Nachricht abhört, desto mehr –, bleibt man mit der eigenen Stimme zurück, höchstens noch imstande, in ein kleines Gerät zu plappern (after the beep) oder sich damit zu trösten, jemanden an der Seite zu haben, der das absurde Reden gar nicht beachtet, weil er Besseres im Kopf hat, ein berufliches Projekt, ein paar Tage am Meer, frischen Fisch und frischen Wind, Letzteres eventuell auch privat.
Renz hatte seine Vermutungen, warum Marlies mit ihm in die Gegenrichtung von München gefahren war; sie hatte nur ein Essen und einen Arzttermin umlegen müssen, und seitdem sah er sie als Frau mit Blick für seine Möglichkeiten, auch der Möglichkeit, sich an ihn anzulehnen, weil dort Platz war, eine Leerstelle. Nach einem Essen weiter südlich am See waren sie erst nachmittags aufgebrochen, und hinter Ferrara, schon fast im Dunkeln auf einer Landstraße, auf einmal ihre Hand an seinem Arm. Wird das jetzt schwierig mit uns? Sie machte ihr Notebook an, wie um dagegenzuhalten, die neue Datei Am großen See, und er stellte sich vor, sie zu küssen – sein letzter erster Kuss lag ein paar Jahre zurück, in einem Taxi mit einer Schauspielerin, die er in seine Serie gehievt hatte: also mehr ein Dankeskuss, der nicht zählte. Renz fuhr langsam, obwohl alles frei war, eine gerade leere Straße, flaches Land, hin und wieder Gehöfte, verlassene Festungen mit Kapelle, und die wenigen Ortschaften wie ausgestorben. Vor den kleinen Bars die Rollgitter, darüber Leuchtschriften, bleich wie der Mond, Totocalcio, Segafredo. Draußen war es kalt und im Wagen so warm, dass Marlies oder die Mattrainer – Renz schwankte innerlich noch – in einem T-Shirt von American Apparel dasaß, das Emblem bekannt; er zog seine Vorabendheldinnen in den Büchern an, nicht aus. Die Straße wurde schmaler, jetzt ohne Bäume an den Seiten, nur manchmal eine Palme inmitten einer Rotunde an einsamer Kreuzung. Wir sind bald da, du wirst es mögen, sagte er, ein erstes Du, und sie schien sich dem anzuvertrauen, rauchte, schloss die Augen. Chioggia mit seinen Kanälen war Anfang Oktober leer, vielleicht wären sie die einzigen Gäste in einem Speisesaal, Wein und Fisch in modriger Luft. Er bremste vor einem der Kreisel. Fast die Hälfte des Lebens war er jetzt mit ein und demselben Menschen zusammen und würde bald ein Enkelkind haben, immer noch seine Hoffnung: Das waren die Fakten, die er aussprach, um ehrlich zu sein, einen ehrlichen Anfang zu machen, und seine Begleiterin legte ihm einen Finger auf den Mund, damit Schluss ist mit Fakten, eine Geste, die nicht zu dem Nur-etwas-Kennen passte. Bisher hätte er immerhin ihre Vita aufsagen können. Sie hatte in München studiert, eine Quereinsteigerin vom Theater zum Fernsehen, erst Redakteurin, Abteilung Film, später Produktionsleitung, treibende Kraft bei zwei Familienserien, schließlich selbstständig nach einer Trennung, keine Kinder. Was wusste er noch? Sie ging gern gut essen und hatte Freundinnen noch aus der Schulzeit, die brachten dann Bekannte mit, Assistenzärzte, junge Anwälte, Fotografen, gelegentlich landete wohl einer bei ihr. Und sie schaute gern alte Serien, etwa die mit Lee Marvin als Chicagoer Kommissar mit Voice-over-Szenen, die hatte sie als Kind mit ihrem Vater gesehen, Marvins Stimme war für sie wie sein Gesicht, rau und weich. Seitdem wählte sie Männer danach aus, und der raue Anteil nahm angeblich zu. Im Grunde wusste er eine ganze Menge.
Aber in Chioggia dann zwei Zimmer mit Verbindungstür, ein altes Hotel, der Speisesaal tatsächlich modrig, dafür ein tiefer Schlaf in der Lagunenluft, wie betäubt von ihrem Moder. Und am anderen Tag die Suche nach dem Meer hinter schier endlosem Schlick und Nebel, ein langer Gang auf weichem Grund; später in einer
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