Liebe in groben Zügen
und die Zigarette in einer Hand. Chioggia, liegt das am Meer? Im Grunde keine Frage, im Grunde ein Wunsch, danach langsames Ziehen an der Zigarette, und er sagte ja, obwohl man das Meer dort höchstens ahnte, ein Ja, das den Abend schon fast beschloss. Die Besucherin ließ sich noch von Lucca erzählen, wie ein Kind, das vor dem Schlafengehen einem Märchen zuhört, und am Ende ein halber Händedruck, halber Wangenkuss, mehr ein Abstreifen der einen Hand und Wange an der anderen. Renz nahm den Rest der Flasche mit nach oben. Wo führte das hin, kennen Sie Chioggia, Marlies? Er sprach im Dunkeln ihren Namen aus, eine Übung für Zunge und Ohr. Marlies klang offen, wie ein Doppelpunkt, ganz anders als Vila, Vila klang zu, Punkt und aus. Später hörte er seine Fast-schon-Begleiterin husten, ein leiser, von der Bettdecke gedämpfter Husten, und irgendwann ging unten Licht an, auf den Olivenblättchen vor dem Balkon Geschimmer – eine Frau, die nachts im Bett las, oder was sie tat. Marlies: auch ein Name, um damit in den Schlaf zu finden.
Und am Morgen kalter Rauch im Wohnraum, auf dem Esstisch ein fremdes Notebook, Apple, daneben Zettel mit Notizen, ein voller Aschenbecher, Wasserglas und Schmerztabletten, das Päckchen aufgerissen; die Tür zum Gästezimmer war geschlossen, im Bad brannte Licht. Marlies? Ein Proberuf, aber keine Antwort, und Renz ging in den Ort. Er kaufte Brot und eine Zeitung, wie er es im Sommer oft machte, wenn Vila noch im Bett lag, er ihr Zeit gab, in Ruhe aufzustehen, die Nacht abzuschütteln, jede Frau hat dafür ihren eigenen Aufwand, Marlies vielleicht einen besonders großen. Also ging er noch für einen Espresso zum Hafen und traf dort auf seinen Mieter, Bühl an einem der Tische unter den Hotelarkaden, vor sich Papier und Stift. Renz hatte ihn kaum begrüßt, als sein Telefon summte, auf dem Display der Name, der auch Lebenspasswort war. Meine Frau, sagte er und ging zu den vertäuten Booten, nur ein paar Schritte von den Arkaden entfernt; er behielt Bühl im Auge, während Vilas Stimme, ungewohnt hastig, vom nächtlichen Florida aus in sein Ohr drang. Irgendetwas war mit Katrin, Renz verstand es nicht gleich, Also was, rief er, was?, und sie fing noch einmal an, und nun konnte er folgen, eine Geschichte, die ihn hin- und hergehen ließ, vom Hafenbecken wieder zu Bühls Tisch – auch dort ein Hin und Her, eine Schreibbewegung, er sah dem Mieter über die Schulter, Franz läuft barfuß am See, eine Gestalt in grauer Schafwollkutte , der erste Satz auf dem Papier –, und vom Tisch lief er die paar Schritte zurück ans Wasser, als würde die Geschichte damit besser. Katrin hatte nicht, wie vereinbart, in Orlando am Flughafen gestanden, sie war auch nicht mobil erreichbar, für Vila erst ein Schrecken, dann eine Kränkung, dann ein Verdacht und noch größerer Schrecken. Katrins Mitbewohnerin auf dem Campus, eine Lynn, hat erzählt, Katrin sei mit einem Kubaner zusammen, einem, der frei hin- und herreisen könnte, der Onkel irgendeine Größe in Kuba. Und dieser nicht gerade Vatertyp-Kubaner habe sie zu einem Trip nach Havanna überredet, so weit Lynn. Und Vila: Der will kein Kind, und Katrin will es auch nicht mehr. Deshalb war sie nicht da. Sie war schon unsicher, als sie mich bat zu kommen, und dann brach die Panik aus! Vila weinte jetzt, ein Verschwinden der Stimme im eigenen Atem, Renz versuchte, sie zu beruhigen, nur wollte sie gar nicht beruhigt werden, sie wollte nicht einmal, dass er sich ins nächste Flugzeug nach Florida setzt, sein Vorschlag. Wenn er mitweinen würde, das wäre schon viel, rief sie, und er, lieber um absurde Sachlichkeit bemüht, stellte ihr Fragen, ob sie schon etwas unternommen habe, andere Leute eingeschaltet, und diese Lynn, ob die seriös sei oder vielleicht nur kubafeindlich. Renz stand wieder hinter Bühls Rücken, als Vila von einem Anruf beim Deutschen Konsulat im Miami sprach. Die sagten mir, mit Beziehungen sei in Havanna alles möglich, auch eine Abtreibung nach der vierzehnten Woche ohne Indikation, und Katrin ist längst so weit, sie hat uns erst informiert, als sie schon durcheinander war, hörst du überhaupt zu? Eine im All oder Vilas eigenem Durcheinandersein halb erstickte Frage, und er riet ihr dringend ab, nach Havanna zu fliegen, falls sie das vorhabe. Lass das bitte, rief er, und plötzlich ein Klicken und Stille, Vilas Art, einfach aufzulegen, etwas abzubrechen. Renz setzte sich zu seinem Mieter und erzählte, was passiert war. Und was
Weitere Kostenlose Bücher