Liebe in groben Zügen
Flughafendurchsagen, er kam gerade aus Genf, auf dem Weg zu einem Abendmeeting im Hilton, dort wohnte er auch, morgen würde man sich in der Klinik treffen, späterer Nachmittag. Blumen? Eine Frage zwischen zwei Durchsagen. Nein, besser nicht, sagte Renz, der Rat des Älteren an den Jüngeren. Blumen senden Botschaften aus, aber wen das Leben verlässt, der macht sich nichts mehr aus Botschaften, er will den Absender, sonst nichts, wie er vielleicht auch nur Vilas Nähe wollte, wenn seine Stunde schlägt. Renz schickte ihr eine Nachricht: dass es hier wohl bald zu Ende gehe. Die Antwort ließ auf sich warten; er saß erst in der Halle und sah den Saudikindern zu, später ein Steak mit Salat in der Bar, umgeben von Chinesen, auch auf die Barstammgäste musste er warten. Erst gegen eins endlich die Stimmung, die ihn vergessen ließ, weshalb er in München war, bis der Greisenpianist mit dem Schlapphut ein Wiener Lied vom Tod sang, der Moment, um ins Bett zu gehen. Und Vilas Antwort dann am nächsten Morgen, Nimm dir ruhig Zeit – eine leise Ironie, eigentlich nicht ihre Sache. Er klapperte ein paar Läden in der Umgebung ab, aber fand nichts für Marlies, nichts, das sie noch gebrauchen könnte. Ich komme mit leeren Händen: der Begrüßungssatz, den er sich zurechtgelegt hatte, als er am späten Nachmittag in den stillen Flur trat, ein Satz, den er sich aufheben musste. Frau Mattrainer, sagte Dr. Weiss im hellblauen Kostüm, jetzt mit dem Headset dort, wo es hingehörte, wie eine Schiedsrichterin, die das Finale pfeift, Frau Mattrainer ist vor einer Stunde in ein leichtes Koma gefallen, oft erholt sich jemand daraus wieder, man muss es abwarten. Die Sessel im Besucherbereich lassen sich zu Betten ausziehen. Wollen Sie zu Abend essen? Dr. Weiss bekam etwas mitgeteilt, zwischen den Brauen steile Fältchen. Renz wollte kein Essen, er verneinte mit der Hand und steuerte schon auf die Lounge zu, immer noch seinen Satz im Kopf, ich komme mit leeren Händen, und vor dem Öffnen der Tür ein Schaudern, als träfe er schon auf Marlies im leichten Koma, tat er aber nicht – mitten in der Sitzlandschaft Kilian-Siedenburg beim Verfolgen der Achtzehnuhrnachrichten auf CNN durch seine Rundbrille. Neueste Bilder des prominenten Franzosen, ein Banker aus dem Boudoir, unrasiert, in Handschellen.
Die Frage ist doch: Was hat ihn geritten, dass er vor seinem Abflug nach Paris und dann gleich weiter nach Berlin, um unsere Kanzlerin zu treffen, noch ein Zimmermädchen haben musste? Was war so dringend, dass er in einer New Yorker Hotelsuite ein Risiko einging, wie er es als Währungsfondschef nie eingegangen wäre: sein Ding im Mund einer Person ohne jede Bonität! Renz ging um die Sitzlandschaft herum, er hatte das Ganze bisher nur am Rand mitbekommen, ohne darüber reden zu können, und plötzlich brach es aus ihm heraus, Was war los mit diesem Mann, dass er es unbedingt tun musste, auch wenn dabei sicher Geld im Spiel war, denken Sie nicht? Er blieb stehen, während Kilian-Siedenburg, längst aus den Polstern gekommen, auf den Schuhspitzen wippte. Natürlich war Geld im Spiel! Für ihn das Einstiegswort, als er Renz vor dem Fernseher die Hand gab, Schön, Sie wiederzusehen, auch wenn der Anlass alles andere als schön ist. Ein Banker bietet immer Geld an, sagen wir, fünfhundert Dollar für den Blowjob, nicht gerade wenig für eine ungelernte Arbeit, aber dann sah dieses Mädchen, was für ein Typ er war, eher klein und grau, ein altes Kind mit Erektion, vermutlich beschnitten.
Mit Sicherheit beschnitten, sagte Renz. Und auch gar nicht so wahnsinnig alt. Waren Sie schon in ihrem Zimmer? Ein Versuch, den Bogen von New York nach München zu schlagen, aber Kilian-Siedenburg war noch auf der anderen Schiene. Nicht das körperliche Alter, das Alter in seinem Wesen, sagte er. In dem Mann steckt doch die ganze Erblast Frankreichs, einschließlich de Sade, und dieser Sonntag in New York, ich kenne New Yorker Hotelsonntage vor einem Abflug, tödliche Stunden, das war sein hunderteinundzwanzigster Tag von Sodom: die Gelegenheit für ein kleines sexuelles Verbrechen, um nicht in Traurigkeit zu versinken, wohl auch schon im Hinblick auf die Kanzlerin – was das Ganze nicht etwa entschuldigt! Marlies’ früherer Mann trat an die Espressomaschine, er füllte eine Tasse, beim Aufreißen des Zuckertütchens zitterte seine Hand. Und wahrscheinlich hat der Mann auch gedacht, schwarze Zimmermädchen seien im Prinzip zu haben. Dazu kommt sie noch aus
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