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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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aber die Kippe auf, wie einer, der Kippen sammelt, um sie zum nächsten Papierkorb an der Maximilianstraße zu bringen und dort gleich samt Gepäck in ein Taxi zu steigen, auf einem Zettel die Adresse der Klinik.
    Die Fahrt durch halb München, überall schon volle Straßencafés, ein warmer Tag, helle Schultern, helle Beine, kaum jemand über dreißig, als gelte ein Ausgehverbot für seinesgleichen. Und vorwiegend Mädchen in den Cafés, oder die jungen Männer waren unscheinbarer, letztlich unterlegen wie die Jungs an Katrins achtzehntem Geburtstag, eine ganze Bar hatte sie gemietet, auf seine Rechnung, letzter Anpassungsakt vor ihrem Ausbruch. Ein Fest mit vierzig Leuten, und allein die Mädchen hatten Stimmung gemacht, er und Vila für zwei Stunden auf einem Sofa, die Sponsorenloge, auf der Tanzfläche Katrin und ihre Freundinnen in engen Glitzerkleidern. Aber sie tanzten nicht, sie standen nur herum mit Cocktails, die er ebenfalls bezahlt hatte, alles in allem tausend Mark, auch der letzte Akt vor dem Euro. Ein Herumstehen, bis aus der Musikanlage etwas Melodisches kam und die Mädchen förmlich explodierten, wie er bei den Stones explodiert war, und kaum ging das Rhythmuseinerlei weiter, spielten sie wieder kühle Erwachsene oder fotografierten einander in Modelposen und sahen aus wie Moskauer Neureichentöchter, dass es kaum zu ertragen war, auch für Katrin irgendwann kaum zu ertragen. Seine Theorie: An dem Abend sah Katrin zum ersten Mal von außen auf sich, auf ein geschminktes Stadtkind mit buntem Getränk in der Hand, die Geburt ihres Ethnologinnenblicks, der bald vor nichts mehr haltmachte.
    Das Taxi bog in eine parkartige Wohngegend, alte Bäume, hohe Hecken, schließlich eine Einfahrt unter Kastanien und in der Abendsonne ein längliches Haus, Holz und Glas, zweigeschossig, vor allen Fenstern heruntergelassene Jalousien. Er rauchte noch eine vor dem Hineingehen, ganz auf sein Rauchen konzentriert, dann lief er zur gläsernen Eingangstür, die geräuschlos aufging; auch dahinter nichts als Stille, Teppiche, die alles dämpften, nur nicht den Herzschlag. Am Empfang eine junge Frau, sie nahm seinen Besuchswunsch auf, telefonierte kurz und wies ihm den Weg zur oberen Etage. Ein stiller Lift und oben noch stillerer Flur, an den Wänden Drucke eines strotzenden Münchens, die Zeit der Salons und Malerfürsten. Nach dem Flur ein weiterer Flur, aber mit Türen und einer verglasten Teeküche, darin eine Frau in hellblauem Kittel, mehr Kostüm als Tracht. Sie kam auf ihn zu, mit Lesebrille um den Hals und in der Hand ein Headset, sie stellte sich als diensthabende Ärztin vor – winzig ein Schild am Revers, Dr. Weiss –, sie erklärte ihm, dass Frau Mattrainer gerade versorgt werde, wenn er in der Besucherlounge warten wollte. Ein Aufschub, der ihn noch unruhiger machte, zumal er an dem Abend einziger Besucher war, allein mit allen Annehmlichkeiten und dem Hessewort an der Wand; er prägte sich die Zeilen ein, trank einen Espresso und ging die kleine Filmsammlung durch, darunter Volver von Almodóvar, das hatte er noch gar nicht gesehen. Und Dr. Weiss – eine Frau in Vilas Alter, gebräunt, schmal, mit kurzem grauen Haar – führte ihn dann selbst in das Zimmer, das zu betreten er sich schrecklich vorgestellt hatte. Aber es waren nur ein paar einfache Schritte an ein erhöhtes Bett, auf dem Kissen ihr Kopf, ihr Mund, Marlies’ Lächeln und in den Augen ein Glanz wie vor Glück. Er zog sich einen Stuhl heran – erstaunlich, wie viel Liebreiz der Tod noch zuließ, nur nicht aus Großzügigkeit, eher sein gemeinster Zug. Sie flüsterten und hielten sich an der Hand, Marlies wollte alles über das neue Projekt wissen, ein Fragen, bis ihr die Augen zufielen, und er versprach ihr, morgen wiederzukommen; dann noch ein Kuss, und über die blassen Lippen ein Geständnis: auch ihr früherer Mann werde sie besuchen, sei wohl schon in München, ein Audi-Typ. Marlies wollte lachen, aber musste husten, die Luft ging ihr aus, Lämpchen blinkten, eine Schwester, auch in mildem Blau, eilte ins Zimmer, tat sofort dies und das, Bewegungen wie die einer Magierassistentin, die das Publikum vom Tricksen ablenkt, und Renz entfernte sich. Wieder eine Taxifahrt, zurück in die Maximilianstraße, wieder die vollen Straßencafés, das volle Leben; er nahm jetzt doch ein Zimmer in den Vier Jahreszeiten, auch wenn es für die familiäre Bar noch zu früh war.
    Kilian-Siedenburg also in München, Renz rief ihn an, im Hintergrund

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