Liebe in groben Zügen
tun, den Rasen mähen oder die alten Oliven vom Efeu befreien? Oder vorher den Pool putzen und schon ein paar Pflanzen einsetzen, Petunien und Hibiskus in die großen Töpfe, die Geranien in die kleinen? Bühl hielt sich mit einfachsten Dingen auf, seit er wieder im Haus war; alles weniger Einfache schien mit Vila und ihm in Verbindung zu stehen, und jede Suche nach Lösungen ergab nur kompliziertere Fragen. Einzige Entscheidung im Moment: sich auf Belangloses konzentrieren, bis die Hauseigentümer an den See kämen. Ende Juni, wenn es heiß wird, hatte Vila geschrieben.
Heiß war es jetzt schon, ab Mittag die Zikaden, über dem See am Abend nur Dunst, nachts ein blassroter Mond, der Juni, Franz’ heimlicher Lieblingsmonat (der Sommer ist schön, aber eine Frau), seiner eher der Oktober, das Rostlaub, die Frühnebel, später ein Himmel von rasendem Blau: Aarlingen, er im Einer auf glattem Wasser. Marlies, die Rauchende im Ruderkahn, war gerade noch im Mai gestorben – von Vila eine knappe Nachricht plus Bitte, Könntest du die Batterie im Jeep aufladen lassen? Und das hatte er noch am selben Tag veranlasst und war am nächsten Tag mit dem alten Suzuki gleich in die Gärtnerei nach Bardolino gefahren, um Pflanzen für ein neues Leben im Garten zu kaufen. Die Petunien oder der Efeu oder der Pool? Der Anblick des noch leeren Pools, unten auch voller Laub und Oliven, war am wenigsten zu ertragen, also fegte er ihn blank und spritzte die Mosaike sauber, und wo sie abplatzten oder schon abgeplatzt waren, verfugte er sie wieder mit einem cremigen Gips vom Ferramento, eine Arbeit von Tagen, während die Junisonne brannte. Man konnte gut nachdenken dabei, eine Art Schreiben, nur ohne Gerät, wie schon auf seiner Wanderung oder nachts in Campo, dem kleinen Efeuort, auch die einstige Piazza bis auf einen Pfad überwuchert. Nur die alte, längliche Kapelle am Ortsrand war ohne Efeu, sie stand oder lag mehr wie angeschmiegt an die ebenso alte Riesenzypresse, in ihrem Hohlraum noch der belgische Gegenstand: nicht in seinen Besitz übergegangen, nur unter seiner Kontrolle. Er hatte in der Kapelle geschlafen, zweimal, auf dem Hinweg ins Monte-Baldo-Massiv und auf dem Rückweg; tiefschwarze Nächte in den vom Tag noch warmen Mauern. Eine Kapelle nur mit Steinaltar, ohne Bänke, der Boden aus Granitplatten, abgeschliffen in Jahrhunderten, und mitten darauf, wie vom Himmel gefallen, ein weißer Plastikstuhl, auf dem hatte er mit dem Notebook im Schoß geschrieben, bis der Akku leer war, einen Bericht von der Wanderung, er im Nachhinein als Begleiter des Poverello, durch einen Stock mit dessen Hand verbunden, um ihn zu führen und ins Gespräch zu kommen. Hast du je geliebt, Bruder Franz, nicht den Höchsten über dir, sondern einen erreichbaren Menschen? Und Franz, ohne sich umzuwenden: Wie kann ich einem davon erzählen, der nicht im Kerker von Perugia lag, ein Jahr lang mit den dürstenden Freunden durch Ketten verbunden? Wie kann ich einem davon erzählen, der nicht auf blutenden Füßen gelaufen ist, Tag für Tag, um seine liebste Schwester vor dem Fastentod zu bewahren? Worte und Sätze, die er beim Wandern auf Zetteln notiert hatte, seine Taschen waren abends voll davon. Und vom Haus aus dann das Versenden des ganzen Berichts an Vila, eine Kurzantwort schon Minuten später: ob er auch mit ihr so wandern würde, durch einen Stock verbunden? Ein Bild, das ihm Sorge machte, er ihr Führer, sie auf ihn angewiesen, umgekehrt kaum besser. Nur könne man es auch ganz anders sehen, keiner bestimmt die Richtung: Vilas Version, als sie spätabends im Haus anrief, um ihre Frage zu erläutern. Und wozu dann der Stock, wollte er wissen, und sie, nach einer Pause, im Hintergrund Musik, Bach oder Schütz, eine Kantate, der Stock, der Stock, das sei kein Knüppel, sondern eine Verbindung: die Liebe, vor der er davonlaufe! Ihre Stimme drang aus dem Hörer, sie war allein in der Wohnung, Renz in irgendeiner Spätvorstellung (die alte Kinoflucht). Ich bin wie Klara, rief sie, nur ohne Frömmigkeit, entweder Liebe oder gar nichts, es gibt viele Arten zu fasten, bist du noch da? Sie rauchte, das konnte er hören, und dann machte sie einen Sprung und kam mit dem, was Renz von Marlies’ Beerdigung erzählt hatte, als wäre er dabei gewesen, statt zu Hause zu sitzen, angeblich im Reinen mit sich: dass mit einer Ausnahme nur Leute aus ihrem Ort dem Sarg gefolgt seien, als hätte sie nie für Hermes Film oder teamart oder alle großen Sender
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