Liebe in groben Zügen
aufgerichtet, ein mächtiges Flüstern aus ihrem Mund. Er begrüßt mich nicht, er sieht mich kaum an, aber ich will ihm antworten. Seit er nach Spanien aufgebrochen ist, warte ich, das sind fünf Jahre. Auch wenn er manchmal zurückkehrt, so wie jetzt, ist es immer ein Warten. Wer unterwegs ist, wartet nicht, also bin ich aufgebrochen. Wer unterwegs ist, hat auch keine Sorge um andere – einmal hieß es, die Sarazenen hätten den Prediger aus Assisi erschlagen, einmal, er sei in den Bergen erfroren, zuletzt, er sei am Nilfieber gestorben. Oder es heißt, Unzählige seien zusammengekommen, ihn zu sehen und zu hören. In Lucca, in Orvieto, in Rom, wo die Witwe Jacoba wohnt. Man liebt dich. Was zählt da noch das Leben deiner Schwester? Klaras Flüstern jetzt mehr ein Hauchen, sie schnappt nach Luft, wie ein Fisch, der im Boot liegt, die Kiemen bewegt, Franz hält ihr die gekaute Feige hin. Ich war auch in Sorge, sagt er. Und bin es jetzt um so mehr. Mein Augenlicht reicht, deine Knochen zu sehen. Du mußt essen, oder willst du Gott auf die Probe stellen, willst du das? Eine scharfe, laute Frage, und Klara nimmt noch einmal alle Kraft zusammen, sie werde wieder essen, Früchte, Hirse, Fische, Kaninchen, und wieder auf die Beine kommen, wieder die sein, die er kannte, wenn er mit ihr einen Tag verbringt, nur sie beide, wird er das tun? Ihr Kopf sinkt auf die Trage zurück, Franz beugt sich herunter, der Feuerschein auf dem Tuch, das ihren Leib bis zum Hals bedeckt. Alles, was sein muß, sagt er. Und jetzt nimm! Er bewegt die Hand mit der Feige, und Klara nimmt sie entgegen, kaut sie weiter, mehr gibt es nicht zu tun, nicht zu sagen. Franz steht auf, selbst auf schwachen Beinen, er tastet sich an der Laube entlang zum Feuer. Der eine, jüngere Bruder schläft schon, aber sein alter Bruder und Beichtvater Leo sitzt noch mit dem Rücken an der warmen Hauswand, Franz setzt sich zu ihm: ein guter Moment, die Last einer Geschichte abzuwerfen, die von Schwester Gazza, der er unweit von hier, auf der Landzunge San Vigilio, das Haar abgenommen hat und die den Garten auf der Insel im Benacus versorgt – vor Klara ist er geflohen, weil sie zu viel war, alles mit Leib und Seele verlangt hat, die junge Wäscherin wollte nur ihr vieles Haar lassen, eine Schwester unter Schwestern werden, ihr Liebreiz war seine Zuflucht. Bruder Leo, bist du wach? Ich will mein Herz erleichtern.
Ein langsames Schreiben, mal eine Seite am Abend, mal nur ein Absatz, bis es dunkelte und die Fledermäuse ihre Zickzackflüge über dem Pool machten, ein lautloses Hin und Her. Und mit den ersten Sternen die letzte Maschine im Anflug auf Verona, hoch über dem See ihr Blinken und kaum ein Geräusch. Rund um den Garten dann Dunkelheit, die Nachbarn waren nicht da oder schliefen schon; nur selten ein Moped im Hohlweg zum Ort. Zweimal am Tag ging er den Weg hinunter und wieder hinauf, morgens für kleine Einkäufe, Brötchen, Milch, Obst oder Käse, mal eine Zeitung, und gegen Abend mit Handtuch und Badehose im Beutel, um in den See zu gehen und anschließend noch etwas zu essen, meist in der Pizzeria Da Carlo, wo der Kellner mit Pferdeschwanz den Kopf hob, auch wenn er dort nur vorbeilief: Zeichen, dass er erkannt wurde. Nach dem Essen dann noch sein Gang über den Platz am Hafen, ein Blick zu dem Eckbalkonzimmer, zurzeit belegt von einem Männerpaar, schließlich der Weg nach oben, die Arbeit auf der Terrasse, die selbsterschaffene Zeit. Und vor dem Schlafen noch Vilas Worte aus Frankfurt, oder wo sie sich gerade aufhielt, um einen ihrer Talkkandidaten zu treffen, und seine Antwort wie das abendliche Amen.
Gute, gleichförmige Tage. Die Gartenarbeit immer sichtbarer, der Rasen gemäht, der Efeu entfernt, die Jasminlaube gekehrt, hängende Zweige hochgebunden, nicht abgeschnitten, der Oleander auf dem Dach versorgt. Alles blühte, alles trieb aus, und wenn er im Halbdunkel vor seinem Gerät saß wie vor einem Fenster mit Blick auf Klara und Franz, lag der Geruch des Jasmins in der Luft, als würde sie aus nichts anderem bestehen, eine süße Schwere, die von Abend zu Abend noch zunahm. Zwei Tage vor Fronleichnam war er kaum mehr imstande, etwas zu schreiben, und saß länger als sonst auf der Terrasse, das Gerät schließlich zugeklappt, ein Sitzen mit geschlossenen Augen, während auf der anderen Poolseite, in dem Olivenbaumpaar, das mit seinen Stämmen und den verschränkten oberen Ästen einen Torbogen ergab, darin klein der angestrahlte Kirchturm, eine
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