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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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gearbeitet, die hätten lediglich Kränze geschickt. Die Ausnahme: ihr Ex-Mann. Beziehungsweise dein alter Freund, sagte Vila. Den Renz zu unserem Fest am Sommerende eingeladen hat, weil er ihn braucht. Ist schon Wasser im Pool? Sie wartete gar nicht die Antwort ab, sie stellte Fragen zum Haus, aber wollte auch wissen, ob er nachts an sie denke und in der Kapelle von Campo an sie gedacht habe – ein viel längeres Gespräch als sonst, zweimal das Viertelstundenläuten von der Kirche in Torri, und nach dem zweiten Mal erst eine Pause, ein Atemholen auf Vilas Seite, nur die Musik noch zu hören, eher Schütz als Bach, und ihre nächsten Worte wie schräge Zwischentöne, Ich werde verrückt ohne dich! Pfeilartig kam das, aber es klang nicht verrückt, es klang nüchtern, und als er mit der gleichen Nüchternheit Ja sagte, ja, er auch, legte sie einfach den Tag fest, an dem sie sich wiedersehen würden: der dreiundzwanzigste, Fronleichnam, in dem Jahr spät, weil ja alles spät war, Fasching, Ostern, Pfingsten, es hätte sich gar nicht gelohnt, früher an den See zu fahren, aber dann lohnte es sich, weil sie gleich bleiben könnte und weil Renz noch in München wäre, die letzten Buchabnahmen vor dem Sommer. Wir sind ganz allein, sagte sie, wir können mit dem Boot hinausfahren und nachts im See schwimmen.
    Ein Bild, das ihm keine Sorge machte, nur ging er nicht darauf ein, er war noch bei Fronleichnam, Glückstag seiner Zartenbachjahre, wenn er morgens an Tullas Hand durch das Dorf ging, überall die Blumenbilder lagen, auch eins von ihr nach dem Druck, der über ihrem Bett hing, Zurbaráns gefesseltes Lamm, das traurig wissende Auge aus einer Butterblumenblüte, darin eine Tannennadel in seiner Erinnerung. Die Hug Tulla war eine Künstlerin, einmal im Jahr, er der Erste, der ihr Werk sehen durfte. Und mit acht oder neun, als ihn niemand mehr wecken muss, steht er an einem Fronleichnamsmorgen mit der Helligkeit auf, ein Frühsommertag von seidigem Blau, die Blütenbilder längs der noch leeren Dorfstraßen in der ersten Sonne, und vor einer Kurve, er könnte die Stelle auf den Meter angeben, sein intimes GPS, sieht er hinter dem Gasthof Hirschen in einiger Ferne, für ihn aber greifbarer Nähe den Rücken des Schauinsland, mehr bläulich als grün die Tannen im rauchigen Dunst: der Augenblick, in dem er das geschmückte Dorf und den nahen Berg zugleich in sich aufnimmt und alles still wird bis auf sein Herz und er das ganze Glück empfindet, hier und jetzt am Leben zu sein, ja sich überhaupt erstmals als Ganzes erlebt, so wie die unzähligen Blüten ein Bild ergeben. Nachts im See schwimmen, das sollten wir tun, sagte er mit etwas Verspätung, denn es braucht nur die dichten Sekunden der Träume, damit ganze Kindheiten in einem auferstehen, und Vila, als hätte er alles ausgebreitet vor ihr: Also dann bis Fronleichnam.
    Zu den klarsten Dingen in ihm und außerhalb zählte der See, das Schwimmen darin. Er schwamm jeden Abend, trotz eingelassenem Pool mit allen Mosaiken; er schwamm, obschon das Wasser noch die Haut zusammenzog, wenn er am Ende der Promenade, etwas abseits der Angler mit ihren langen Ruten, hineinsprang. Aber jeder Frühsommertag machte den See etwas wärmer, und er schwamm immer weiter hinaus, weiter auf Das kleine Meer des Catull – an den zu denken sich leicht ergibt, wenn nach Süden hin nichts als Wasser ist und in nördlicher Richtung höchstens fern und im Dunst die schräge Bergkante über Riva. Er schwamm, bis die Angler nur noch Punkte waren, dann kehrte er um, und sein catullsches Leib- und Magengedicht hielt ihn gleichsam über Wasser, während Arme und Beine schon schwer wurden, wie beim ersten Mal, als er mit Cornelius in die Schweiz geschwommen war und das Zurück sich hinzog und sie sich Mut machten mit Reden. Sprache trägt; ihn trug sogar die tote Sprache – in all seinen Leistungskursen war dieses Gedicht vorgekommen, aber nur der Schüler Fährmann, gepierct und mit einem Tattoo im Nacken, hatte es begriffen. Aus Miser Catulle, desinas ineptire, et quod uides perisse perditum ducas machte er Erbärmlicher Catull, hör endlich auf zu schwätzen, und was du untergehen siehst, nimm als verloren an.
    Wieder zurück nach dem Schwimmen, saß er am Terrassentisch, bis es dunkel wurde, vor sich die Franziskus-Notizen und ein Catull-Bändchen aus den Büchern in Vilas Zimmer, die alte Mörike-Übersetzung der Gedichte, für ihn nie Maßstab. Fulsere quondam candidi tibi soles, Einst war das

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