Liebe in groben Zügen
Abend an. Vielleicht melde ich mich noch einmal.
Wann, fragte Bühl, ein Wort, das sich Luft machte, so, als sei ein Flügelschräubchen in ihm zu weit aufgedreht.
DAS eine, kleine Wort, das etwas besiegelt, so unbemerkt wie der stille Beginn einer Krankheit: Danke hatte Renz in der einen Nacht von Lucca gesagt, ein Wort in völliger Dunkelheit, ihr Hotel im verwirrend runden Kern der alten Stadt, das Zimmer wie eingekeilt von Gemäuern, ein Verlies mit zwei Geretteten. Renz hatte sich nicht vertan , er hatte sich verliebt. Aber erst am anderen Tag, auf der Fahrt Richtung Assisi, als sie am Trasimenischen See haltmachten, im Freien etwas tranken, traf es ihn mit der Schärfe, die er schon vergessen hatte – Verliebtsein, beglückendes Schwert quer durch einen selbst, Wunde und Heilung ein und dasselbe. Ein Sitzen auf Plastikstühlen vor einem Schilffeld, dahinter der flache olivgrüne See, seine Inseln eine Art Fata Morgana in der Nachmittagsonne. Renz hielt Marlies’ Zigaretten, sie spielte mit seiner Sonnenbrille, ein Auf- und Absetzen, und dann probierte sie den Namen, der für Vila nicht existierte: Bernhard, wo bleibt die Arbeitsreise? Ihr Mund ging in die Breite, links und rechts eine Sichel, gerade noch Mädchenwangen, sie nahm sich von den Zigaretten. Fahren wir weiter, sagte Renz. Wolltest du keine Kinder? Er gab ihr Feuer, und sie erwähnte eine Abtreibung, zu der Zeit ihr Wille. Sie sprach noch im Auto davon, eine Geschichte, die nicht besser wurde durch das Erzählen; sie rauchte, und für einen Moment sah es aus, als würde sie weinen unter den japanischen Lidern. Auch nach seinem Danke hatte er diesen Eindruck gehabt, trotz Dunkelheit – ein Dank für das unglaublichste Einvernehmliche zwischen zwei Menschen, beim ersten Mal noch kaum zu begreifen, noch kaum in Worte zu fassen, wie viel darüber auch geredet wird oder wie oft man es in Filmen sieht.
Und auf einmal Assisi, wuchtig am Berg, wie ein geordneter Steinbruch: War das elf oder zwölf Jahre her, dass er mit Vila durch die Gassen fuhr, einen Weg zum Hotel San Francesco suchte, hinten der Hund, ein geduldiges Bündel? Renz kam es vor, als läge zwischen damals und jetzt das Gewicht seines Lebens. Sie waren noch jung in ihren ersten Assisi-Tagen, und dann hatte er Kasper von der Leine gelassen, als sie über den Platz vor der Basilika gingen, und die Katze übersehen, die auf einer der Steinbänke in dem Kreuzgang saß. Damals wollte er für eine Priesterserie recherchieren, und nun suchte er im eigenen Leben herum, nach den Tagen, den Nächten vor dem Unglück, nach Stunden auf der kleinen Dachterrasse des Hotels, Vila und er unter Sternen wie an den Himmel genagelt, oder mittags am Zimmerfenster, als ein Sturzregen niederging und sich die Tagesbesucher unter Schirmen und Pelerinen vor den Basilikamauern drängten, während er Vila von hinten nahm, den Kopf halb neben ihrem, sie beide unschuldig aus dem Fenster sahen; danach das Beieinanderliegen, nichts als atmend, seine Hand in den Mäandern eines satten Schoßes, eine der Stunden, die ihm ein ganzes Wort erschlossen hatten, Zufriedenheit. Renz fuhr Schritt, eine steile Gasse an der Rasenfläche vor der Basilika, und dann tauchte das Hotel auf, quer über die Front der Name, über dem letzten Buchstaben das Fenster von damals, die Läden geschlossen. Er hielt auf dem Vorplatz neben Andenkenbuden, Pilger und Nonnen wichen zur Seite – der große schwarze Wagen, auch ein monströser, zu Boden gefallener Priester. Renz ließ den Motor im Leerlauf; man durfte hier nur halten, um Gepäck auszuladen, dann musste man weiter zu einem entfernten Parkplatz, und natürlich hatten sie vor elf, zwölf Jahren – eher zwölf – sofort gestritten, sich angeschrien, alles war zu viel, die lange Fahrt, die Hotelsuche, der Hund, die Hitze. Er hatte dann eins nach dem anderen geregelt, sogar eine kleine Wiese für Kasper gefunden, und als er schließlich ins Zimmer kam, lag Vila nackt auf dem Bett, das Haar noch nass vom Duschen. Sie sagte kein Wort, sie rückte nur, und er begriff zuerst gar nicht, wie sehr sie ihn wollte nach seinem Weg durch das Chaos – wer ist schon gefasst auf die guten Momente im Leben, man rechnet mit dem Schlimmsten, nicht mit dem Besten, allenfalls noch mit dem Glück. Nur hatte es nichts mit Glück oder Fügung zu tun gehabt, als Vila seinen Kopf umarmte und ihr eines Bein anzog; es war einfach nur das Beste, das am Beginn ihrer Assisi-Tage passieren konnte. Geh schon mit den
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