Liebe in groben Zügen
eindringt, das ist hier leider nötig, das Wort: Er umarmt meinen Kopf und dringt in mich ein, und der harte Boden, den das Tuch nicht weicher macht, nur etwas wärmer, der Granit in meinem Kreuz, er existiert nicht mehr, ich schwebe auf ihm, noch ein Wort, das sein muss. Und dann spreche ich seinen Namen, einmal, zweimal, leise, und trotzdem ein Hall in der leeren Kapelle, an ihren Wänden, wenn du dich erinnerst, Spuren von Malerei, einmal hat Katrin hier fotografiert, das fällt mir jetzt wieder ein, Katrin, erst elf oder zwölf, mit deiner Minolta, Renz, wie sie die Frescospuren aufnahm, blasse Farben, die etwas Leuchtendes bekommen, wie von dem angestrahlt, was wir auf dem Granitboden tun. Du und ich, sagt Bühl, seine einzigen Worte auf dem Tuch, und die bekommt er zurück, ja, du und ich. Mehr gab es nicht zu sagen, weil es nichts Besseres zu sagen gibt, nicht in dieser Stunde, oder wie lang wir dort lagen, und ich fürchte, auch in den Jahren, die noch bleiben, wird nichts mehr kommen wie diese Stunde auf dem Granit. Man ertrinkt nur einmal, ohne dabei zu sterben, Renz, einmal im Leben. Und irgendwann lagen wir fertig, so muss man es sagen: vollkommen fertig nebeneinander, er und ich, nur sein Atem hatte noch etwas vom Atem der Hundertmetersieger, wenn sie nach dem Rennen mit offenem Mund auf den Zweiten zugehen, ihn kurz umarmen, he, wir haben beide gewonnen. Und jetzt hast du Hunger, nicht wahr, willst etwas essen, du bist noch immer nicht satt, das ist gut! Sein erstes Reden mit ruhigem Atem. Liebende auf Zeit rühren an die besten Seiten des anderen, um noch mehr zu lieben, nicht an seine Schwächen, um sich abzusichern.
Die paar Sardinen, soll ich die einfrieren oder schnell machen, wenn du Hunger hast, sagte Renz, als hätte sie tatsächlich vor sich hin gesprochen, mal lauter, mal leiser, aber immer laut genug für seine nicht mehr ganz intakten Ohren. Danke, ich habe gegessen, wunderbar, und du? Sie ließ sich Wein einschenken und trank ihn in einem Zug, Renz holt Brett und Messer, er nahm die Fische aus vor dem Einfrieren, seine schlanken silbrigen Seesardinen: Die hatte sie mit Bühl unten am Wasser in Magugnano gegessen, als Sarde in Soar, eine der Vorspeisen im Ristorante Giuly, früher war sie dort mehrfach im Sommer mit Renz und Katrin, in dem Jahr noch gar nicht, aber man kennt sie, also ein Spiel mit dem Feuer. Sie und Bühl an einem Zweiertisch, und im Laufe des Essens tauchen Marco, der Wirt, und sein Koch Vittorio auf, Marco kompakt wie ein Ringer, aber mit Sängertalent, der Koch heiserer Venezianer, mit jedem Fisch vertraut, gefolgt von Giuly, Marcos Schwester, sowie Paula, seiner Frau, mit Tochter Irene, alle drei schmal und zäh, aparte Gesichter, die sie seit Jahren kennt, wie auch Kellner Ulrico, der sie bedient, Ulrico mit Zügen von Yves Montand, sogar dessen melodischer Stimme. Sie stellt den Begleiter als ihren Kameramann vor, nennt ihn Franz, und Wirt und Kellner fragen nach Katrin, nach der Familie, während Bühls Zehen mit ihren Zehen unter dem Tisch spielen. Und beim Essen, zweimal Steinbutt, erzählt er dann von seiner Wanderung, er will sie noch fortsetzen, will noch bis Riva, dann mit dem Schiff zurückfahren. Dem Licht entgegen zu dir, sagte er wörtlich: das hat doch etwas, Renz, solche Worte ohne Angst vor dem Pathos, ich habe ihn dafür eingeladen, bar bezahlt, unser Konto wird nicht belastet. Und danach ein Gang in die Weltmode für meine Schuhe aus Verona, und dort ist alles noch wie in den schönsten Jahren mit Katrin, das blinkende Spielzeug, die billigen Sonnenbrillen, die Flitterkleider und Gangsteranzüge, die mörderischen Absätze. Und zwischen Kinderkleiderpuppen und Gummidelphinen unser Abschiedskuss, als die Weltmodebesitzerin mit dem wasserblonden Haar, die schon Katrin bedient hat, in ihrem Hinterzimmer das Wechselgeld holt. Bühl geht dann einfach, ich will es so, er begleitet mich nicht zum Wagen, ich laufe allein das Stück nach Marniga und setze mich in deinen großen Jaguar, Renz, ich mache Musik an, eine der CDs zu deinem Sechzigsten, und höre auf der Rückfahrt die Stones, die nicht meine sind, This could be the last time, das singe ich sogar mit, und auf dem geraden Stück hinter Pai trete ich einmal kurz aufs Gas und fahre hundertsechzig, wo nur siebzig erlaubt sind, ein Vergehen von nur vier, fünf Sekunden, es drückt mich in den Sitz, und ich rufe laut den Namen dessen, der mir fehlt, und hinter dem Lenkrad blinkt das Airbaglämpchen, weil
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