Liebe in groben Zügen
die jeweils noch abzuklopfen war, eine Art Schlagzeugtätigkeit für drei Kellner, von jedem am Tisch kommentiert. Also konnte sie in Ruhe von einem zum anderen schauen, in Gesichter, die sonst niemand sah, zehn, fünfzehn Jahre älter als im Moment, ohne Chance, noch einmal geliebt zu werden, höchstens bedauert. Die Wilfingers: nur noch Lederhaut und Design, er mit gefärbten Locken, rossbraun, sie die Lippen noch verzweifelter rot. Oder Elfi und Lutz – ihre liebe alte Elfi, kein Hausbesuch mehr mit Arztköfferchen, auch keine Tanzkurse, und ihr ohnehin schon feines Haar noch feiner, rötliche Watte. Und Lutz mit Eintrachtdauerkarte, ohne dass man ihn dort noch brauchte, ihn irgendein verdrehtes Knie einrenken ließ. Alle zwei Wochen würden sie es tun, hatte Elfi einmal nach ein paar Grappas erzählt, aber das war gestern, morgen käme es nur noch alle zwei Monate vor, wenn überhaupt. Elfi sprach ja auch schon von betreutem Wohnen, vom Umzug in ein Haus mit Fahrstuhl, von Rente und Essen auf Rädern: Dinge, mit denen sie, Vila, nichts zu tun haben wollte, so wenig wie mit betreutem Sex. Und Heide, ihre bestaunte, lebenstüchtige Heide: So viele Teelichter konnte es gar nicht geben, um sie dann noch erstrahlen zu lassen, mädchenhaft, frech, und Heide war so liebend gern frech. Mit keiner sonst lachte sie so oft über Frauengeschiss, bis die heidesche Müdigkeit kam, jetzt noch abends um neun, dann spätestens um sieben, schlaf, Heide, schlaf ein, und Jörg wird Fotos bearbeiten. Nichts, das Jörg nicht verbesserte, da einen Telefonmast wegnahm, dort einen Hund platzierte, wie Heide ihre Lichter – Photoshop-Jörg und Teelicht-Heide nach Verkauf ihrer Firma Cleanlight, das Konto gefüllt, die Tage leer auf der Finca, nur voller Hoffnung auf Besuch, wie sie hier am See immer auf ein Erscheinen hoffen: das ihrer göttlichen entschwebten Tochter. Bei Heide und Jörg gab es wenigstens noch die spanische Gemeinsamkeit emoción, beides Gefühlsmenschen, während sie und Renz auf die Epiphanie setzten. Und vielleicht wären das später die Besuche der Englers, sie immer noch Mediatorin, die Grande Dame der Mediatorinnen, dann auch in Talkshows zu sehen, ihr Mann weiterhin bodenständig, aber mit Sinn für die Sterne, nach denen man greifen könnte. Und Katrin? Die war noch im Werden, die käme erst richtig aus ihrer Schale, mit etwas Glück an der Seite eines Dokumentarfilmers. Blieben sie und Renz, das war schon die Zukunft, er hatte sein Altershaar, sie ihr Grauen vor dem Alter, und als letztes Bühls früherer Freund, der mit Katrin Konversation machte, lebhaft über Brasilien, und nur am Tisch saß, weil er gebraucht wurde: Der Herr Cornelius, wie Renz ihn inzwischen nannte, für sie auch in zehn Jahren noch der, der jetzt aufstand zu einem Toast, die Brille zurechtschob und beim Reden dann auf seinen Schuhspitzen wippte, eine Art Hervorwippen von Nettigkeiten, die kaum in ihr Ohr drangen. Sie sah nur, wie sich die Nasenlöcher beim Sprechen leicht blähten und ein Glanz auf dem Haar lag, das Bühl, wer weiß, als Schüler im Schilf gestreichelt hatte. Alles erschien ihr auf einmal denkbar, alles, selbst eine Flucht in dieser Nacht wie die von Klara aus ihrem Adelsturm.
Und nach dem Prosit die Branzinos, das Fleisch weiß und saftig, sie aß wieder ohne Appetit, dazwischen auch ihre Bemerkungen vorsichtig, ohne Biss, über das Leben am See und das Leben in Frankfurt, die ersten Herbsteinladungen, bei den Hollmanns, bei den Schaubs, lange Essen am Tisch, keine Sofarunden. Wenn Paare feiern, wird das Eis schnell dünn, sagte sie, Worte, die fast untergingen in Windstößen über das Hafenbecken und den Platz, Wind, der einer jungen Frau den Rock zwischen den Beinen verwickelte, Italienerin mit wehendem Haar: die sich scheinbar geschlagen gab, in Wahrheit mit dem Wind und ihrem Rock spielte, auch noch als Renz nach dem Fischgang das Wort ergriff. Er begann mit einer Eloge, sie, sein vertrautester Mensch, eine unerschöpfliche Frau, in sich schön, also auch strahlend – sie kannte jedes Wort, auch die rückblickenden. In unseren Anfängen, sagte er, war ich fassungslos, wenn sie im Kino geweint hat, weil etwas das erhoffte Ende nahm. So war es doch, oder nicht? Er sah sie an, und sie nickte ihm zu, rede ruhig weiter, sag, was du willst, aber das tat er ohnehin, dabei schon sein Glas erhoben. Inzwischen schauen wir nur noch DVDs, meistens die alten Sachen, ihr Lieblingsfilm ist Frühstück bei Tiffany, meiner What
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