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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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sie morgen weg, tust du das? Sie winkte ihm zu, ihr Gutenacht, und er machte kehrt. Die Brombeeren, sicher, wenn du es willst. Ein schönes Fest, oder war es zu viel, bist du deshalb verschwunden? Renz sah noch auf seine Füße, dann schloss er die Tür hinter sich und tat ihr leid, wie einem alte Hunde oft leidtun. Ja, deshalb, rief sie, es war alles etwas viel. Warum verreisen wir nicht ein paar Tage? Fahren wir einfach nach Sizilien! Sie spülte sich die Seife von den Beinen, und an der Tür ein leises Trommeln, der renzsche Zweifingertakt, sein Ja.
    JA , warum nicht, warum nicht verreisen? Renz stand mit einer Büchse Bier in der Hand am Esstisch, er war mehr als nur angetrunken, dabei wacher als Vila, die vom Bad gleich ins Bett gegangen war – irgendetwas musste noch geschehen in dieser Nacht, am liebsten hätte er mit Katrin geredet, aber sie war vom Pool ohne ein Wort in ihr Zimmer geeilt, nur eingehüllt in ein Handtuch, hinter ihr die Spur der nassen Füße, auch jetzt noch auf den Kacheln. Er stellte die Büchse neben die Gide-Tagebücher, die immer noch auf dem Tisch lagen, als hätte keiner mehr die Kraft, sie einzusortieren, dann riss er ein paar Blätter von der Küchenrolle und wischte den Boden auf, wie er schon alle Tropfen hinter Katrin aufgewischt hatte, als sie noch klein war, immer vom Pool barfuß ins Bad lief. Sizilien, da war auch Vila noch klein, groß gewachsen zwar, strahlend, lebendig, aber mädchenhaft versponnen, ihre erste lange Autofahrt, sie eine kleine große Schwester. Er warf die Blätter in den Müll und schloss die Doppeltür zur Terrasse und sah sich im Glas, seinen Schädel, seine Brust, das graue Vlies in der Mitte und die umflorten Spitzen, wo früher Muskeln waren, er sah den Bauch und seine Arme, seine Füße, all die Teile, die zuletzt mit Marlies ein Ganzes waren, und das auch nur wenige Male, ehe bei ihr schon die Auflösung anfing. Als er jung war, ja auch noch mit vierzig, hatte er gedacht, er würde sich am Beginn des Alters erschießen, der eigenen Auflösung vorgreifen, einen Schrei ausstoßen und abdrücken, anstatt noch Jahre stumm zu schreien.
    Er nahm die Tagebuchbände vom Tisch, in dem einen der Vermerk, der sich bald wieder jährte, Gides Verzweiflung in Torri am siebten September, weil eine lange Folge prächtiger Tage nur irgendwann enden könnte, eingebrannte Worte, die er nicht suchen musste, so wenig wie den Platz für die Bände neben Faulkners Schall und Wahn. Die Lücke hatte sich fast von selbst geschlossen, so eng standen die Bücher dort, seit er den belgischen Gegenstand seines Vaters dahinter versteckt hatte; nicht einmal Vila kannte die Stelle, das Ding sei hinter den Büchern am Kamin, mehr hatte er dazu nie gesagt, mehr wollte sie auch nicht wissen. Er zog Schall und Wahn heraus und auch gleich Licht im August und noch Soldatenlohn – der Titel hatte ihn auf den Platz hinter den Faulkner-Bänden gebracht –, jetzt eine mehr als handbreite Lücke und dahinter nichts. Der belgische Gegenstand lag nicht mehr da, und nur einem hatte er von dem Versteck erzählt, ein Fehler, wie man ja oft nachts beim Telefonieren Dinge sagt, die man später bereut. Bühl muss sich die Waffe aus Neugier angesehen haben, womöglich hatte er sie auch in der Nacht bei sich behalten und am Morgen dann an etwas anderer Stelle hinter den Büchern wieder versteckt, wer geht schon mit einer Waffe vernünftig um, auch er hatte sie nur alle paar Jahre in die Hand genommen und noch nie damit geschossen. Er holte sich das Bier und trank es aus, dann fing er an, die übrigen Bücher aus dem Regal zu nehmen, erst eins nach dem anderen, dann zwei, drei auf einmal, bis er sie herausriss, einfach auf den Boden fallen ließ, die Paul-Heyse-Novellen, die hier am See spielen, seinen Nietzsche, seinen Kafka, den restlichen Faulkner – irgendwo musste der alte Fünfschussrevolver sein, Bühl war nicht so dumm, ihn ganz woanders hinzutun, und er war sich absolut sicher, ihn zuletzt hier und nicht oben hinter Büchern versteckt zu haben, vielleicht nicht mehr hinter Faulkner, weil Soldatenlohn auch wie eine blöde Parole klang, aber dann in den Reihen darunter oder darüber, also mussten auch dort die Bücher heraus, die Waffe war hier unten oder nirgends, oben war nur Geld versteckt. Erst vorigen Sommer hatte er einen Hundertmarkschein in Woody Allens Manhattan-Drehbuch gefunden, Geld aus der ersten Zeit des Hauses, an der Wand über dem Kamin noch kein Ölbild aus der Gegend,

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