Liebe in groben Zügen
reife Frucht an Jörgs Hals. Geht schlafen, geht ins Bett, rief ihnen Vila zu, andate a letto! Sie nahm sich den Hausgrappa und trank auf den Hotelbesitzer Lorenzini, der an den Tisch kam, dankte ihm für den perfekten Ablauf, das gute Essen, die aufmerksamen Kellner, eine Flucht ins Italienische, bis Marion Engler von ihrem Italienischkurs sprach, den Mühen des Anfangs, auch wenn sie es zu zweit machten, Thomas und sie sogar abends beim Essen italienisch zu reden versuchten. Ach ja, sagte Vila, miteinander? Sie sah auf ihr neues Uhrband, auf seine rätselhaften schimmernden Intarsien. Was man ja lange nicht kapiert, wenn man diese Sprache lernt: dass die Italiener alle Verben, die ein Gefühl ausdrücken, mit einer Konjunktivform verbinden. Sie sagen nicht, Ich fürchte, du bist erledigt für mich, sie sagen: Ich fürchte, du seist erledigt. Oder: Ich wünsche, du liebtest mich. Und so weiter. Und ihr redet also abends beim Essen italienisch? Schön.
Ja, schön und falsch! Eine Antwort, als die Musik noch einmal in Fahrt kam; der Mann am Keybord mit einem Gesicht wie aus Teig und Schatten spielte das finale Lied für den Abend, schon nach den ersten Takten kam Renz um den Tisch. Es sah nicht aus, als wollte er tanzen, nur irgendwie gehalten werden, solange es um eine Welt ging, die sich weiter und weiter dreht, auch wenn man gerade verlassen wurde, gira, il mondo gira. Vila stand auf und nahm seinen Arm, ein Zeichen zum allgemeinen Aufbruch; und die Abschiede dann fast überstürzt, während der Regen schon auf den Hafenplatz schlug. Wo steht der Jeep, wir müssen los! Sie winkte Katrin, mehr ein Fuchteln, die andere Hand noch um Renz’ Arm, Du bist zu erledigt zum Fahren, gib mir die Schlüssel, ja? Keine Bitte, ein Befehl, und als sie dann zum Jeep liefen, schüttete es. Renz hatte bei der Kirche geparkt und das Verdeck nicht geschlossen, im Fußraum stand schon das Wasser, und Katrin rief Wie bei uns!, womit sie ihr Flussdelta meinte, und im selben Atemzug: Ich fahre, ich! Sie ließ sich die Schlüssel geben, sie verteilte die Plätze, der Mann nach hinten, die Frau nach vorn, und so ging es den Hang hinauf, immer noch offen, es lohnte nicht mehr, das Verdeck umständlich zu schließen, eine Fahrt unter Sturzbächen. Und kaum im Haus, lief jeder auf sein Zimmer, die klebende Kleidung loszuwerden, schnell in ein Bad zu kommen, es gab ja nur zwei Bäder, und sie waren zu dritt. Ihr beide zuerst, sagte Renz, aber Katrin wollte noch schwimmen, sie rief schon ihr Gutenacht von draußen.
Vila also allein im Bad, und dabei hätte sie es gern mit Katrin geteilt. Sie stand unter der warmen Dusche, angetrunken, aber wach, und seifte ihre Beine ein, den Bauch, die Brüste, ihr altes Dasein – schwierige Ehen können immer noch glorreich enden, schwierige Liebschaften nie, ein Badewannengedanke, obwohl sie gar nicht in der Wanne saß. Und Liebschaft, eins ihrer Zufluchtsworte. Wie Glück. Oder Schönheit. Nur war Schönheit für sie Bewegung, Bühls Gang, seine Gesten, seine Blicke, er konnte einen ansehen, als werde man getauft. Ich taufe dich im Namen des weiblichen Geistes, der kranken Sehnsucht, des Verlangens. Und Glück, das waren solche Taufen, die sich nicht fassen ließen, auch nicht hinterher. Sie wusch ihren Arm mit dem Krustengitter, sie kratzte am Schorf, bis wieder Blut kam, und zog eine der Krusten samt feiner Haut langsam ab. Schmerz, ihr stilles Laster, wer weiß. Und dann wusch sie noch, was sich in der Zeit ihrer Abwesenheit von der Tischrunde oder Anwesenheit in dem Zimmer über der Geburtstagstafel immer wieder sinnlos geweitet und sinnlos zusammengezogen hatte, auch ein Schmerz.
Darf ich herein? Renz vor der Tür, sie hob den Kopf und strich sich das Haar von den Augen – auf den Kacheln ihr vages Spiegelbild, der weiche Mund, lange Hals, die etwas schwere Brust. Sie wollte nicht, dass er hereinkommt, wollte nichts hören, ihn nicht sehen, nichts fühlen, Vila, die Äffin. Warum, wir frühstücken morgen zusammen! Ein zu schwaches Nein, und folglich kam er ins Bad, ihr Mann in Boxershorts und dennoch alt, auf jeden Fall älter als sie, mehr als zwölf Jahre, ihr Abstand zu Bühl, im Gesicht das Einzige, das wirklich alt macht, älter als alle Falten, alles Hängen: ein Ausdruck von Unsicherheit, ja Angst, den sie nicht kannte an ihm. Was willst du? Sie spülte weiter ihre Mitte, Renz sah den wunden Arm. Die Brombeeren am Parkplatz, sagte sie, ich bin irgendwie hineingeraten beim Aufräumen, hau
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