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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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sich nach Deckenfresken zu verrenken, Vila und Renz, schon etliche Jahre zusammen und in so kritischer Verhakung wie die zwischen zwei Erdplatten, die ihre Spannung halten und halten, bis sie sich, nach Vorzeichen, die höchstens Tiere erkennen, entlädt.
    *

IV
    LIEBE kommt auf uns zu, nicht andersherum, wir können ihr nur davonlaufen, sie als trauriger Sieger abhängen, oder den Atem anhalten, wenn sie plötzlich wie etwas Drittes neben uns und dem anderen steht: ein Schrecken fast ohne Vorzeichen, wohl der heilsamste, den das Leben bereithält. Und so hätte Vila auch gar nicht sagen können, warum sie den in Renz’ Augen komischen Heiligen, aber für Haus und Garten nützlichen Wintermieter, ihren offenbar von nichts und niemandem abhängigen Gast aus den Mitternachtstipps dazu gebracht hatte, ihr nachzureisen, aber sie ahnte es, wie man den Beginn eines Fiebers ahnt, noch ehe das Thermometer etwas Beunruhigendes anzeigt. Er war abends gelandet, aber erst spät im Hotel angekommen, sie hatte an der Rezeption eine Nachricht hinterlassen: dass sie ihn beim Frühstück auf der Dachterrasse treffen wollte – acht Uhr, da ist das Licht am besten! Ein Ort und eine Zeit ganz in ihrem Sinne, nicht in seinem, er müsste eigentlich ausschlafen nach dem langen Flug, aber sie wollte ihm in morgendlicher Nüchternheit wiederbegegnen, wenn die Luft noch frisch war in Havanna und das Licht alles durchsichtiger machte, ihn eingeschlossen.
    Und dabei war Bühl schon um sieben Uhr wach, in einem Zimmer mit Blick auf ein Wohnhaus, wo sich auf dem Balkon gegenüber ein Schwarzer nass rasierte, so nah, dass er das Kratzen zu hören glaubte; er stand im Bad, einem Raum ohne Fensterläden und Vorhang, als hätten die ersten Besitzer des Plaza mit seinen elf Stockwerken nicht damit gerechnet, dass auf der anderen Straßenseite ebenso hoch gebaut werden könnte. Eine Weile sah er dem Mann beim Rasieren zu, den ruhigen Bewegungen, durch die der Schaum auf den dunklen Wangen immer weniger wurde, und das ohne Spiegel, dann nahm er eine Nagelschere und begann sich den Bart abzuschneiden, keine einfache Arbeit. Seit ihn in Tübingen, erstes Semester Philosophie, die Einladung zu einer Münchner Hochzeit erreicht hatte, Cornelius Kilian-Siedenburg & Marlies Mattrainer heiraten : eine pompöse, durch das gewollte Et-Zeichen noch abstoßendere Karte, war Schluss mit Rasieren; er hatte sich zuwachsen lassen, mal mehr, mal weniger, also gab es einiges abzuschneiden, und mit einem zwar nicht glatten, aber doch entblößten und ihm selbst nicht ganz geheuren Gesicht erschien er gegen acht auf der Hoteldachterrasse mit Blick über die Stadt und das Meer. Was sah man da? Auf den alten Gebäuden eine geradezu maurische Morgenröte, verwischtes Aufglühen zwischen Pastelltönen, davor nichts als schmutzig gelbe oder minzeblasse Häuser, mal bunkerartig, mal barock, übergehend in ein Gewirr verrotteter oder nie ganz fertig gewordener Teile, ein Ineinander und Aufeinander von Vorsprüngen und halben Fassaden, Treppen und Dächern. Und mitten darin eine Welt aus heiklem Wachstum, ganzen Bäumen, aus gesprengten Hauswänden ragend, halben Zelten auf halben Balkonen, Blechbuden an Mauern geklebt, und all das im Weißgraurosa einer morgendlichen Medina, selbst die klaffenden Lücken zwischen den Häusern: malerisch. Die Sonne wärmte schon, er zog den Pullover aus, mit dem er am Vortag ins Flugzeug gestiegen war, und stand in verbeulter Hose und hängendem Hemd auf dem Dach und sah sich nach einem Tisch um, einem mit gutem Blick, und an dem mit dem besten Frühstücksblick saß die Person, der er nachgereist war.
    Und? Vilas Auftaktwort und damit gleich die Frage nach der Verfassung, dem ersten Eindruck, den Erwartungen, während ihre Hand zu seinem hellen, nur noch von Stoppeln bedeckten Kinn ging, eine Bewegung, die sich erst auf halbem Weg stoppen ließ, und schon war ihr Plan von der Morgennüchternheit durchkreuzt. Sie schob Bühl einen Stuhl hin, schräg zu ihr, um wenigstens das in die Hand zu nehmen, nur wählte er einen anderen Stuhl und setzte sich gegenüber, wo schon gedeckt war. Wie ist der Tee? Er zeigte auf ihre gefüllte Tasse, und sie nur: Trinkbar, möchtest du Tee? Ein Du wie eine kleine Nagelprobe, ob es einschlägt oder nicht; sie nahm die Kanne und füllte seine Tasse mit Tee, noch ein Vorschnellen, gegen das sie machtlos war. Bühl dankte ihr, und sie tat eine ihrer Brotschnitten auf seinen Teller – am Rand der Dachterrasse ein

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