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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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waren gemeinsam älter geworden –, das Lokal ist brandneu, mit langer Bar, Stehtischen und jungen Bedienungen, das Publikum aus Offenbach oder Hanau, Autohändler, Makler, Arschlöcher, aber lustig. Und auch später, als sie fast um die Ecke wohnen, gehen sie noch ins Plus, es hat eine Terrasse nach Süden, und an warmen Sonntagen frühstücken sie dort mit den Autotypen in der Sonne und hören zum ersten Mal das Wort Prosecco. Aber nur diese lange Silvesternacht zählt, alles Spätere eher ein Witz; Renz ist zu der Zeit noch Filmkritiker bei der Rundschau, und sie schreibt kleine Kulturartikel, beide glauben an das, was sie tun. Sein Lachen ist ein Ja zu allem Komplizierten, Renz fiel ihr schon bei Filmpremieren auf, ein Kerl, dem lange Mäntel standen, mit Schnauzer und Notizblock. Und am Abend des letzten Tages im Jahr dreiundachtzig sieht sie ihn vor dem Hauptbahnhof, er treibt sich dort herum, seine Flucht vor Silvester, während sie von zu Hause kommt, ihre Flucht. Sie nicken sich zu, er zeigt auf eine Tasche, die sie trägt, darin Bettwäsche und Kleidung, die sie bei ihrer Mutter in Hannover gewaschen hat. Ich trage das mal, sagt er, und sie sagt, nicht nötig, und er nimmt ihr die Tasche ab, da hätte sie schon einiges über ihn lernen können. Dann gehen sie zur Straßenbahn, und er steigt mit ihr in die Vierzehn, begleitet sie einfach, und nachdem sie ihr Zeug in die Wohnung gebracht hat, ziehen sie herum und landen im Plus. Und dort erst tippt sich Renz an die Brust, so wie sich Robinson gegenüber Freitag bekannt gemacht hat: Bernhard. Und darauf sie, laut gegen Boney M., Verena! Wieland! Und er: Verena Wieland, wieso das denn? Und dann sieht er sie an, als sei ihr Name nur so lange gültig, bis er auf den Plan tritt, ein Kerl mit Schnauzbart, um den Namen zu ändern, sie an Ort und Stelle umzutaufen, auch da hätte sie schon viel über ihn lernen können. Aber sie hat nur eins im Kopf, den Kerl zu küssen, wenn vorher der Schnauzer verschwindet. Und das sagt sie ihm nach dem vierten, fünften Bier, hör mal, ich würde dich küssen, aber erst muss der Bart weg, und da bahnt er sich einen Weg durch die Tanzenden zum Wirt des Lokals und kommt mit einer Büroschere wieder. Los, ruft er, und sie fängt an zu schneiden, die dicken braunen Haare fallen auf das weiße Tischtuch, er pustet sie fort, und mit jedem Schnitt wird seine Oberlippe voller, Minuten wie im Märchen: sie Mitte zwanzig und er der Erste, bei dem sie sich vorstellen kann, ein Kind zu bekommen. Und was nun, fragt er, als der Bart ab ist. Er bedeckt sich den Mund, und sie greift nach seiner Hand, eine Premiere in dem Gefühl völliger Ungeschütztheit, und hebt die Hand an, da sitzen sie schon fast Stirn an Stirn, ohne Ahnung, was hinter der anderen Stirn vorgeht. Sie hoffen nur das Beste in dem Moment, und auf einmal liegen ihre Lippen auf seinen, die Hoffnung erfüllt sich, ein Kuss bis zum Gehtnichtmehr über ihren Tisch hinweg, das Menschenmögliche mit nur zwei Zungen.
    Vila schenkte sich Tee nach, sie trank in kleinen Schlucken; Renz hatte nachts eine SMS geschickt, Ein Wort von dir, und ich komme. Sein Mund war inzwischen ein anderer, wie in sich zurückgezogen, und ihrer war noch voll, ohne fremde Hilfe. Oder gerade darum. Und sie hatte ihn auch gelassen, wie er war an dem Morgen, nichts gegen seine Blässe getan, überhaupt nur die Schatten unter den Augen abgepudert. Warum trennen wir uns nicht, das wollte sie zurückschreiben, aber da war es gleich acht, und um acht war sie verabredet. Und nun saß sie hier, und der mit am Tisch saß, hatte sich auch den Bart abgenommen, für ihn noch ungewohnt, auch so zu essen – an seiner Oberlippe ein Krümel, nicht groß genug, um ihn darauf hinweisen zu müssen. Aber dann doch ein Wort, halb abgewendet, Du hast etwas am Mund. Und wie geht es hier weiter? Wir können uns die Umgebung ansehen, oder bist du zu müde? Sie nahm die Sonnenbrille ab, und seine Hand ging zu dem Krümel, als ihre schon in dieselbe Richtung ging, nur gelang es jetzt, die Bewegung noch aufzuhalten.
    EIN warmer, windiger Tag, die Luft würzig vom Meer; Bühl war nicht müde oder wollte nicht müde sein, auch wenn ihm die Augen brannten. Also der Gang durch die Umgebung, danach erst das Bett, aber statt Schlaf ein Herumliegen, alles Mögliche noch im Ohr, Du hast etwas am Mund: immer wieder diese Worte, weil sie nicht neu waren, weil er sie kannte; sein Mund hatte schon viele beschäftigt, Männer und Frauen, alte und

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