Liebe in groben Zügen
Buffet, aber belagert –, auch ein Stück ihrer Butter und zwei Scheiben Käse. Das mit dem Bart, wann ist das passiert? Vila trank von ihrem Tee und sah Richtung Meer, um nicht auf seinen Mund zu schauen. Vorhin, sagte Bühl, es fühlt sich noch nackt an. Er verstrich die Butter auf dem Brot, ein konzentriertes Tun. Vila, das ist nicht dein richtiger Name. Soll ich dich Vila nennen? Zu mir sagten sie früher in der Schule einfach Bühl. Oder Bühle, aber das hat nur ein Freund gesagt. Ist Vila eine Abkürzung? Er aß von dem Brot, und sie erzählte, wie der Name zustande kam, durch Renz den Täufer, eine seiner besseren Taten. Also nenn mich auch so. Und wenn mir danach ist, sage ich Bühl. Wie hast du geschlafen, Bühl? Sie stellte ihre Tasse ab und sah nun doch auf seinen Mund, die Hände als Fäuste gegeneinandergepresst.
Geschlafen, kaum. Deine Tochter, was ist mit ihr?
Vila nahm die Hände unter den Tisch. Ich weiß es nicht. Ich weiß noch gar nichts. Ich laufe hier nur herum und weiß nicht, wie es weitergeht. Und Katrin läuft hier auch irgendwo herum. Oder liegt schon irgendwo auf einem OP-Tisch, ich weiß es nicht! Nur dieser Deutsche ist optimistisch, wir treffen ihn heute Abend. Willst du ein Ei? Sie zog ihre Sonnenbrille aus einer Umhängetasche, aber behielt sie noch in der Hand. Nein, sagte Bühl – eine klare Entscheidung, während Renz sich mit Eiern anstellte, das eine zu weich, das andere zu hart, kein Ei ohne Drama. Sie setzte die Brille auf und sah in Bühls Gesicht. Es hatte etwas Junges ohne Bart, und wenn das Gestoppel noch wegkäme, wäre es vielleicht zu viel des Guten. Oder kam sie sich nur älter vor, so alt, wie sie war? Als sie sich zuletzt mit einem Mann hinter Renz’ Rücken getroffen hatte, war sie im besten Alter dafür, Mitte vierzig und seit kurzem Frontfrau der Mitternachtstipps, er war Galerist in Berlin, ohne Alter, sie hatte in seinen Räumen eine Malerin vorgestellt. Drei- oder viermal trafen sie sich noch, an immer neuen Orten, sie und Holger, ein tödlicher Name zwischen zwei Küssen, Kristian war Gold dagegen. Und jetzt zu unserer Sache, sagte sie: Der Mann, den ich dafür bezahle, Katrin zu finden, ehe es zu spät ist, macht mir jeden Tag neue Hoffnungen. Wir treffen ihn samt seinem Helfer oder Leibwächter, der in Afghanistan ein Bein verloren hat und so gut wie gar nichts sagt. Dafür redet der andere umso mehr, er sagt, Havanna sei im Grunde klein für Leute, die sich nur in bestimmten Freiräumen bewegten, wie den Neffen des berühmtesten lebenden Dichters. Kann sein, dass du ihn furchtbar findest, den Gründer des Instituto Fichte. Auf seiner Karte steht Fichtes Satz, dass der Mensch nur unter Menschen ein Mensch wird, das kommt hier an. Aber er hat mir ein Interview mit dem berühmten Pablo Armando Fernández versprochen, dadurch würden wir seinen Neffen und auch meine Tochter finden. Willst du lieber Rührei, oder was willst du?
Sie wollte irgendetwas tun für Bühl, aber ihm reichten ein Brot, Käse und Tee – Renz hatte in ihrer ersten Nacht zwei Spiegeleier in einem Lokal gegessen, das eine gelungen, das andere nicht. Das gelungene trennte er von dem verlaufenen, löste das Weiße vom Dotter und bot ihr die unversehrte Halbkugel an, eine Silvesternacht, und das Lokal ganz in der Nähe ihrer heutigen Wohnung, um sie beide ein Vorhang aus Rauch, aus Musik. Sie sind die Einzigen, die dort nicht tanzen morgens um zwei, sie sitzen sich gegenüber, weit nach vorn gebeugt, und teilen sich das Eigelb, wortlos, gerecht. Sie wissen fast nichts voneinander, einen Namen, eine vage Berufsrichtung, und wissen doch alles: dass der andere der Einzige inmitten der vielen ist, und wenn sie heute alles voneinander wüssten, bliebe nichts als die Trennung. Das Lokal tobt, und zwischen ihnen feierliche Stille. Sie wischen einander die Eireste vom Mund, sie trinken Bier, schauen sich an und rauchen. Mal gibt er ihr Feuer, mal sie ihm, ihr Rauch vermischt sich, gute alte Zeit des Indoor-Rauchens, gute alte Zeit auch des Schlagers, der Refrains und der Luftschlangen: die ersten Stunden neunzehnhundertvierundachtzig, das Orwell-Jahr, das orwellmäßig zum Reinfall wird. Noch steht Aids vor der Tür, und in Berlin steht die Mauer, und alle singen Boney M. mit. Sie sind in diesem Lokal gelandet, unweit vom Schweizer Platz, im Plus – das vor einem Jahr erst dichtgemacht hat, nach außen eine Folge der Finanzkrise und in Wahrheit eine Folge des Lebens, der Wirt und seine Gäste
Weitere Kostenlose Bücher