Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
Vom Netzwerk:
als die Typen kapieren, dass der Präsident noch in der Maschine ist, haben wir uns geküsst, sie schwang sich auf meine Beine. An welcher Schule waren Sie Lehrer?
    Am Hölderlin.
    Nie von gehört.
    Hölderlin?
    Von der Schule.
    Aber den Namen, sagte Bühl, den Namen haben Sie schon gehört, den kennt jeder. Friedrich Hölderlin. Hyperion.
    Bis in mein Viertel drang er nicht. Nur zu mir. Mögen Sie Frankfurt? Ich mag’s. Wenn im Herbst der Wind den Himmel aufreißt, die Hochhäuser in hartem Licht, davor die Bäume am Main, und wenn dann wie auf ein Zeichen Tausende von Krähen auffliegen, die Glasfronten verdunkeln, glaubt man, die eigenen Dämonen würden mit in die Luft steigen, oder? Kampe griff zu seinen Krücken, er wandte sich an Vila. Der Termin mit Pablo Armando Fernández kann ganz plötzlich zustande kommen, stellen Sie sich darauf ein! Er drückte die Zigarette aus und ging ohne ein weiteres Wort, und Vila legte das Handbuch zu der HD-Kamera auf den Tisch.
    Die Theorie am Abend, die Praxis bei Tag – sie schlug den deutschsprachigen Teil auf und präsentierte einen Stift –, wir lesen alles durch und markieren das Wichtigste, danach sehen wir uns das Gerät an. Oder andersherum?
    Auf gar keinen Fall, sagte Bühl. Am Anfang war das Wort. Was heißt HD? Ich hasse Abkürzungen.
    Sie schlugen es nach, die erste Abkürzung von vielen, ein Beieinandersitzen, über das Heft gebeugt wie für eine Schularbeit, und am Ende des Abends schon ein Reden in Halbsätzen und Kurzwörtern. Wir beide, verrückt, sagte Vila, als sie aus dem Lift trat, und Bühl nur: Du HD, ich Ohweh.
    ABER am anderen Tag fingen sie gleich nach dem Frühstück mit Außenbildern an, diszipliniert, nicht verrückt, Bildern für einen Trailer zu dem Interview – die maurische Morgenröte vom Hoteldach aus, der nestartige Park, in dem noch Leute schliefen, der Platz mit der abgerissenen Hausfront, als Close-up Tapetenreste, die erste Schlange vor einem Schuhladen, die Waschung eines alten Fords, das Anrauchen einer Zigarre im Mund einer Greisin. Und später der Malecón ohne Menschen, das Meer, wie es einfach dalag, perlmuttfarben, die Agonie des Mittags bei Ebbe, ein Junge im glänzenden Schlick, sein Suchen nach irgendwas, dann die Fahrt in einer Fahrradrikscha, für Fremde verboten, die toten Straßen ohne Polizei, der Zickzack um dösende Hunde, die Hand des Fahrers, noch das erhöhte Fahrgeld darin, sein Blick beim Aussteigen, dankbar, verschlagen. Und gegen Abend das Chaos auf der Calle Neptuno, die alten Schilder an schwarzen Fassaden, RCA Viktor, Broadway, Flamingo, die wannenartigen Autos und Frauen in Bodysuits wie auflackiert, ein offener Frisörsalon, dreißig Stühle in Reihe und eine Band zur Unterhaltung der schwulen Frisöre; und schließlich ein Lokal mit Musik, ein ganzer Trupp in schillernden Jacken, der Sänger ein schwarzer Stecken mit Hut, dann Schwenk auf einen Namen am Tresen, Bar Montserrat, und einen Tisch übersät von Pistazienschalen, auf eine Frau, die sich setzt, ihr Haar aus der Stirn pustet und alle Schalen auf den Boden fegt, die unter dem Tisch die Schuhe abstreift und staubige Füße gegeneinanderreibt, die ihre Beine massiert und über dem Tisch, im Off, den Satz Ich fürchte, ich verliebe mich gerade sagt.
    Es ging in der Musik fast unter, in den Trompeten und dem Falsett des Sängers mit Hut, im ganzen Lärm der Bar, aber eben nur fast, und was ankam, war eine Art Seufzer in Worten, wie die Vermischung aller Worte zu einem einzigen: das nur bedeutet, was es bedeutet, und, obwohl schon milliardenfach ausgesprochen, für den, der es hört, selbst aus dem Off etwas unfassbar Neues hat, außerhalb alles Bekannten, ja außerhalb jeder Zuständigkeit; zuständig nur die Lippen, über die es kam, und die Ohren, die es hörten, als den einzig klaren Ton in dem Gesang, das einzig Stille inmitten des Lärms, ein Ich und Du im selben Atemzug, auch wenn das Du ganz mit den Raffinessen einer elektronischen Kamera beschäftigt war – auf deren Display, nach den staubigen Füßen, nun ein Gesicht, noch benommen von den eigenen Worten.
    Bühl legte das Gerät auf den Tisch, er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben die Frau, die den Tisch leergefegt hatte. Er griff um ihre Hand, mehr nicht, und winkte mit der anderen dem Kellner. Es war ein langer Tag, sie hatten Hunger. Die Bar war kein Esslokal, und doch brachte ein greiser Kellner aus einem Hinterraum Essen an die Tische, Fleischstücke so dunkel wie die

Weitere Kostenlose Bücher