Liebe in groben Zügen
seine Brüder in ihre Schlafecken krochen und die Poverelle, wie er die Schwestern genannt hat, ob Klara, Agnes, Pacifica, noch etwas Holz auf die Glut legten, bevor sie unter ein eigenes Strohdach verschwanden, während er sich mit einem scharfen Stein die Wundmale neu aufrieb: ein Bild, das ihn nicht mehr losließ, bis es an der Tür klopfte.
Vila brachte den Tee, die kleinen weißen Tabletten und einen Vorrat an Klopapier, als hätte er sein Leid geklagt. Sie ging ins Bad und machte ein Handtuch feucht, sie wischte ihm das Gesicht ab, und er wollte etwas sagen, das alles wie einen Irrtum aussehen ließ, als hätten sich die Bakterien den Falschen gesucht. Auf dem Balkon gegenüber die erste Sonne, der Schwarze streckte sich, und er tat es ihm nach, dass die Gelenke knackten. Vila streichelte seinen Mund, seinen Hals, die Schultern, sie kämmte ihn mit den Fingern. Sag am besten gar nichts, schlimm sind nur die Worte dazu. Von den kleinen Weißen jede Stunde zwei, dann beruhigt es sich. Wir haben nämlich unseren Termin schon heute Nachmittag. Also werde gesund. Und rasier dich, Fernández hat ein Auge für Männer! Vila holte Dosenschaum und ein Päckchen Wegwerfklingen aus ihrer Tasche. Mit den Tabletten vierzig Euro, sagte sie, und dabei ein Lachen, das umsonst war, aber viel mehr wert.
Und mittags wartete sie in der Lobby auf ihren Kameramann, in einem hellen Kleid von COS, das käme ins Bild, und einer alten Jeansjacke gegen den Fahrtwind – der Einbeinige hatte am Vormittag von einem Ausflug im Cabrio gesprochen. Sie sah auf die Uhr, die Renz ihr geschenkt hatte, die kleine Reverso mit arabischen Ziffern – vor einer Viertelstunde hatte Bühl von Zimmer zu Zimmer angerufen, gesagt, er komme. Vila zog die Uhr auf und mit dem Hin und Her von Daumen und Zeigefinger auch eine Art Uhrwerk in sich, nur mit rückwärtslaufender Zeit: in kurzen Bildern von Renz oder Gedanken an ihn, an die Eigenheiten seines Körpers, an Linien, die deutlicher wurden, wenn sie sich konzentrierte, und auseinanderfielen, sobald sie die Augen öffnete. Von Bühl hatte sie dagegen auch mit offenen Augen ein Bild, sein Gesicht: das Beste, das sie seit langem in Händen gehalten hatte, vielleicht seit Katrins Geburt, auch wenn sie Jahre ihres Lebens damit preisgab. Als Mädchen war sie lange in einen Jungen aus einer höheren Klasse verliebt, er hatte es nie bemerkt; wahr ist nur, was sie empfindet, schon wenn sie denkt, was sie empfindet, wird alles verfälscht. Und mit jedem gesprochenen Wort betritt man das Reich von Psychologen und Juristen. Also besser den Mund halten und noch einmal im Leben so viel empfinden, dass man am Ende kaum mehr überlegt, ob man liebt oder nicht liebt. Man liebt und ist verloren, wie sie auch bei Renz verloren war. Bühl kam geduscht und rasiert aus dem Fahrstuhl, in grauen Hosen, weißem Hemd, das Gesicht noch blass, die Augen groß und glänzend, das Haar provisorisch gekämmt, er winkte ihr zu, und sie winkte mit der Kamera zurück. Eine Hand auf dem Bauch, die andere noch halb erhoben, lief er im Bogen zu ihrem Sofa: der, den sie wollte, heute noch, und wenn nicht heute, dann morgen, oder so bald wie möglich – zuletzt hatte sie ihren Job bei den Mitternachtstipps mit solcher Sturheit gewollt. Bühl zog sie vom Sofa hoch, in seinen Arm, sie fasste ihm an die Stirn, Wird es gehen? Eine halbmütterliche Frage, die musste sein, und er: Warum sollte es nicht gehen, ein Klo wird es dort wohl geben, wie schön du aussiehst, sind die Akkus geladen? Er nahm ihr das Gerät ab, und sie führte seine Hand in ihre Tasche, zu den Akkus, aufgeladen, seit es am Morgen Strom gab. Alle möglichen Männer hatten ihr schon alle möglichen Komplimente gemacht nach ihren Sendungen, aber das war keine Kunst: einer Frau, die aus der Hand eines Visagisten kam und spätabends auf dem Schlafzimmerfernseher erschien, Komplimente zu machen, sie hatte all diese Mails und sogar Briefe nie ernst genommen. Ihre Hand war noch – mit vollem Ernst – um Bühls Hand in der Tasche mit den Akkus, als der Hauptmann in Spiegelhalters Diensten an seinen Stöcken in die Halle kam. Der Wagen steht draußen, rief er, und sie drückte die Hand.
*
VI
ES war ein 58er Pontiac Super Chief von dem Blau eines zu warmen Hotelpools mit Sitzen in der Farbe einer Hochzeitstorte, Vila und Bühl sanken in die Rückbank, über ihnen blanker Himmel, der Fahrtwind warm und würzig: ohne Bühls Leiden der perfekte Beginn eines Ausflugs – Aber die
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