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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Sie trug nichts anderes als dieses Hemd, und er rieb ihren Rücken, die Pobacken, die Beine, alles Zitternde, unter seinen Fingerkuppen ihre Poren wie Blindenschrift. Schlaf mit mir: ihre Worte in der Dunkelheit, etwas, das Vila nie sagen würde, wenn sie krank war, und er hatte ihre Beine auseinandergelegt und die Hand gespürt, die ihm helfen wollte, und keine Hilfe war, ihn am Ende nur tröstend umschloss. Er konnte nicht mit ihr schlafen, es ging nicht, sosehr er es auch wollte, nie zuvor war er so in sich eingefallen, bis zur äußeren und inneren Gleichheit, ohne die Differenz, die ihm noch in Assisi geholfen hatte, ehe Vila am Telefon sagte, sie sei wieder die Frau in den besten Jahren – und ihm davongezogen war, wie er den Familienkutschen und fetten Audis hinter Innsbruck, wenn er nur kurz aufs Gas ging.
    Marlies hielt immer noch seine Hand, ein Festhalten an ihm auch im Schlaf. Was bin ich für dich, hatte er sie nachts in Assisi gefragt, und von ihr eine Antwort, über die Vila nur gelacht hätte: Erwachsen. Also ein Mann mit Frau und Kind und Haus, einem Leben, auf das er blicken kann – seine Worte, nicht ihre. Und was willst du von diesem Mann? Die eigentliche Frage, und sie hatte sich an ihm gehalten, wie Katrin, als sie zur Schule kam, ein Kind, das sich an ihn hängte, ganz einfach weil er größer war. Ich will nur etwas von seiner Zeit, sagte Marlies, eine Antwort, um ihn zu beruhigen. Natürlich wollte sie mehr, wie auch er mehr wollte, wenn er bei ihr lag: ihre Liebe, bis es hell wurde, danach reichte das Liebhaben, für noch mehr war sein Leben zu fortgeschritten. Wenn er erwachsen war, dann so erwachsen, dass es schon eine Krümmung nach vorn gab beim Denken, so wie beim Gehen ein Übergewicht des lebensvollen Schädels. Er hatte etwas Verstopftes, anders als Vila, die etwas Festes hatte, während Marlies klug und weich war, aber nicht klug genug, seine ganze Erwachsenenlast zu sehen, sie sah nur das Volumen. Ihre Hand lag um sein Gelenk, bis sie München erreichten und er zwei Hände am Steuer brauchte; die Arztadresse hatte er schon vor dem Start eingegeben, eine Straße zwischen Schwabinger Tor und Englischem Garten – früher hatte er sich immer in München verirrt, weder zu Hermes Film noch zur Bavaria gefunden, jedes Mal ein Streit mit Vila, wenn sie dabei war; heute blieb nur noch die Liebe, um sich zu verirren, da gab es keine Frauenstimme, die sagte: Nach hundert Metern halblinks. Auf der Leopoldstraße wirbelndes Laub, am Gehsteigrand Blätterberge, der Gnadensommer wie weggeblasen; Lieben war vielleicht nicht seine Stärke, und dennoch liebte er, wie die, die im Grunde unsportlich sind, dick und mit kurzen Beinen, aber sich jeden Abend am Mainufer quälen und sogar einmal im Jahr, Ende Oktober, den Frankfurt-Marathon mitlaufen, ab Kilometer fünf schon groteske Figuren.
    Sie waren eine halbe Stunde vor dem Termin an der Praxis in einem Haus mit lauter Arztschildern; alles, was Leben zerstört, konnte dort entdeckt werden, nur sein geheimes Leiden nicht, die Unfähigkeit, jemandem ganz und gar nahe zu sein, ein Stückchen näher als sich selbst. Marlies rauchte jetzt wieder, sie bestand darauf, rauchend drückte sie seine Hand. Nur wenige Male hatte Vila sich so gehalten an ihm, zuletzt nach dem Tod ihrer Mutter, guter Abstand hatte sie beide immer mehr verbunden als schlechte Nähe. Assisi, sagte Marlies auf einmal, das hat was, auch ohne uns. Ich habe nachgedacht auf der Fahrt. Alles ist dort alt, die Häuser, die Gassen, der Berg, eine Idealkulisse. Ich stelle mir das Ganze so vor: im ersten Teil Franz der Troubadour, der junge Mann, der gern ein Ritter wäre, der Kriegsgefangene, dann als Cliffhanger noch sein Bruch mit dem Vater, die Umkehr, der Skandal. Und in Teil zwei die ersten Predigten, das Tanzen, das Singen, seine langen Wanderungen, auch über die Alpen, der deutsche Bezug, eine Co-Produktion. Und der Lehrer, den deine Frau in ihrer Sendung hatte, kann schon beim Exposé helfen, du schreibst später das Skript. Aber parallel die Serie am See – zwei Sachen, einmal Vorabend, einmal Prime Time. Sag ja, und ich bin gesund.
    Ja, sagte Renz und sah auf die Uhr im Wurzelholz, es war schon nach sieben, sie hatte den letzten Termin, ein Radiologe mit langem Tag. Er bot ihr an, im Wagen zu warten, aber sie wollte nicht, dass er wartet. Fahr nach Frankfurt und ruf mich an. Und ruf deinen Mieter an, wenn er wieder im Haus ist, wir treffen uns dann mit ihm, wir machen das, wir

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