Liebe in St. Petersburg
Rubel für diese Tat bekommen hatte.
Durch Rußland lief ein Stöhnen, als bekannt wurde, was hinter dem Ural geschehen war. Alles blickte nach Sibirien – die einen voller Hoffnung, daß Rasputin sterben würde, die anderen im Gebet versunken, Gott, der Herr, möge den Staretz überleben lassen.
Aus Tjumen kamen die Ärzte in das kleine Dorf. Die Zarin schickte ihren Leibarzt, Professor Fedorow, zu Rasputin. Einige Operationen folgten – und niemand glaubte mehr daran, daß Rasputin überleben würde. Das Fieber stieg, der Eiter floß aus der schrecklichen Bauchwunde … und dann erholte sich der Wundermönch, der aufgetriebene Leib fiel zusammen, das Bewußtsein kehrte zurück.
»Ich muß weiterleben«, sagte Rasputin. Es waren seine ersten Worte seit Wochen. »Rußland braucht mich! Furchtbares wird in der Welt geschehen …«
Denn noch ein anderes Ereignis erschütterte an diesem 28. Juni 1914 die Welt. Es war ein höllischer Tag …
Gregor von Puttlach war in der Deutschen Botschaft, als das gesamte Personal in den großen Versammlungssaal gerufen wurde. Der Botschafter, Graf Pourtalès, neben ihm Oberst von Semrock, hatten sehr ernste Gesichter.
»Meine Damen und Herren«, sagte Graf Pourtalès mit leicht bebender Stimme, »ich habe die traurige Pflicht, Sie mit einer Depesche bekanntzumachen, die ich gerade aus Berlin vom Auswärtigen Amt erhalten habe: Vor einer Stunde sind in Sarajewo, in Serbien, der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin auf der Straße in ihrem Wagen erschossen worden. Der Täter, ein gewisser Gavrilo Princip, ist Mitglied des serbischen Geheimbundes ›Schwarze Hand‹.« Der Botschafter machte eine Pause und blickte mit gerunzelten Brauen seine Diplomaten an. »Es ist anzunehmen, daß Österreich diesen Mord nicht einfach hinnehmen wird. Meine Damen und Herren, die Lage ist sehr ernst. Es ist bekannt, daß Rußland mit Serbien sympathisiert. Die nächsten Tage werden zeigen, ob die Welt in Brand gerät, oder ob die Vernunft siegt. Wir erwarten für die nächsten Stunden eine rege diplomatische Tätigkeit. Im Auftrage Seiner Majestät werde ich in einer Stunde bei dem russischen Außenminister vorstellig werden. Schenke uns Gott den weiteren Frieden! Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren …«
Graf Pourtalès verließ den Sitzungssaal. Oberst von Semrock winkte Gregor zu sich in eine Ecke. Alles sprach durcheinander, die Spannung löste sich in aufgeregte Reden, in Mutmaßungen und politische Diskussionen. Krieg? Mein Gott, wie soll das werden? Man hatte doch an den ewigen Frieden geglaubt … Und ausgerechnet jetzt, wo in allen Ländern die Sozialisten immer größere Sympathien erlangten und nur darauf warteten, die Monarchie zu stürzen. Ob in Deutschland oder in Rußland – wo immer Arbeiter marschierten, sangen sie die Marseillaise … Und sie sangen sie auch noch, wenn Polizeiknüppel sie auseinandertrieben.
»Das ist ein Mist!« sagte Hauptmann von Eimmen aus tiefster Seele, ehe Gregor zu Oberst Semrock ging. »Gregor, wenn man Deutschland da mit hineinzieht, zerbricht die gesamte Ordnung dieser Welt!«
»Was wollen Sie jetzt tun?« fragte Oberst von Semrock Gregor, als ihm dieser gegenüberstand.
»Abwarten, Herr Oberst.« Gregor konnte kaum sprechen, seine Kehle war wie zugeschnürt.
»Warten? Worauf? Endlich hat Nikolai Nikolajewitsch seinen Funken im Pulverfaß! Die nächsten Tage werden es beweisen. Es ist wohl selbstverständlich, daß Österreich Truppen nach Serbien in Marsch setzt. Ich täte das auch – es geht ja um das Gesicht der Monarchie. Und es braucht nur zu einem Grenzgeplänkel kommen, und Rußlands Dampfwalze beginnt zu schnaufen!« Semrock beobachtete das Botschaftspersonal, das jetzt den Saal verließ – nachdenklich oder in Gruppen ernst diskutierend. »Ich gebe Ihnen eine Stunde Urlaub, Herr von Puttlach. Fahren Sie zu Ihrer Braut und hören Sie sich an, was man bei den Michejews über Sarajewo denkt. Das ist beileibe keine Spionage, das geht Sie privat an … Sie stehen jetzt mit einem Bein in Deutschland und mit dem anderen in Rußland …«
Gregor schluckte krampfhaft, aber das Würgen blieb. »Ich glaube nicht an einen Krieg. Es wäre Wahnsinn!«
»Was in der Politik ist letztlich nicht Wahnsinn? Entweder geht es den Menschen zu schlecht – oder es geht ihnen zu gut – richtig geht es ihnen nie! Wenigstens in den Augen der Politiker. Ich sage Ihnen: Wir stehen am Ende einer Epoche! Die roten Fahnen, die
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