Liebe Isländer: Roman (German Edition)
du kannst natürlich auch noch mal runterkommen und dir Nachschub holen, wenn du willst.«
Der Mann zog endlich ein Buch aus dem Regal.
»Hast du schon mal etwas von Hákon dem Versschmied gelesen?«, fragte der Hausherr.
»Nein, das hab ich noch vor mir«, antwortete der Mann.
»Ist ausgezeichnet. Ich glaube, es liegt noch auf meinem Bett.« Er verschwand im Flur und erschien sofort wieder mit dem Buch in der Hand. »Hier hast du Hákon. Er ist ausgezeichnet. Aber nimm trotzdem noch ein anderes mit.«
»Ja, vielleicht gucke ich in dieses hier rein«, antwortete der Mann.
»Er ist immerhin mein Onkel, der Hákon.« Dann ging er hoch aufs Zimmer.
Ich beeilte mich, gute Nacht zu wünschen.
Das Djúp
Vor mir liegt die Steingrímsfjarðarheiði. Der Weg führt in einem weißen, weichen Bogen hinauf in ein graues Konzentrat entweder aus Nebel oder Wolken. Auf der anderen Seite der Hochebene warten Ísafjörður, Mjóifjörður, Skötufjörður, Hestfjörður, Seyðisfjörður und Álftafjörður. Zweihundert Kilometer Fjorde, die entweder schon entvölkert sind oder kurz davor, verlassen zu werden. Diese Straße ist nichts für mich, und ich überlege, ob ich bis Montag warten und dann die Fagranes nehmen sollte. Doch auch wenn ich es täte, müsste ich über die Hochebene fahren, da die Fähre von Arngerðareyri geht, auf der anderen Seite. Vom Straßenamt bekomme ich die Information, die Strecke sei passierbar. Jeden Tag führen viele Leute über diese Bergpiste. Also sei nicht so ein Feigling, dachte ich bei mir, und mach dich auf den Weg, Junge.
Gesagt, getan. Das Auto kraxelt den Hang in aller Ruhe hinauf, und schnell bin ich ganz oben auf der Hochebene. Die Aussicht ist in alle Richtungen grandios, und es ist beeindruckend, über die weißen Hänge und Berge ringsum zu schauen. Die Telefone verlieren die Verbindung, das Radio kurze Zeit später ebenfalls. Durch die Stille gleicht die schneeweiße Ebene am ehesten einem heiligen Ort. Ich verlangsame die Fahrt, werde von Ehrfurcht erfüllt, beuge mich und verneige mich in Gedanken. Ein demütiger Reykjavíker.
Den ersten Fjord zu fahren ist ein besonderes Erlebnis. Ich spüre die Konturen des Landes. Der Weg hängt außen an der kantigen Bergkette, und zur Rechten liegt der dunkelblaue Meereseinschnitt, das Ísafjarðardjúp. Hier und da ein Hof, aber niemand zu sehen, und alles ist so weit entfernt. Auch wenn die Berge erdrückend sind und rechtsdas Gefälle hinunter ins Meer manchmal extrem, die Aussichten sind wunderbar. Bis ich sehe, wie der nächste Fjord sein Maul aufreißt. Er ist noch tiefer und breiter. Und deren vier liegen noch vor mir.
Der Wind bläst schärfer im nächsten Fjord, die Landschaft ist frostiger, und es regnet. Die Straße wird immer löcheriger. Vereiste Flächen strecken sich einander entgegen und verbinden sich nach und nach zu einer geschlossenen Eisdecke. Nach einer Stunde Fahrt bin ich noch keinem anderen Auto begegnet, und während langer Abschnitte sind keine Gehöfte zu sehen. Ich fahre mit 30 Kilometern pro Stunde, um nicht gleich ins Meer hinunterzupurzeln. Das bedeutet, dass es noch 4 bis 5 Stunden Fahrt bis Ísafjörður sind und ich im Dunkeln ankommen werde. Es wird bestimmt verdammt dunkel im Djúp. Ich glaube, ich habe mich schon wieder selbst reingelegt und zu einer Dummheit verleitet, und bereue es, nicht bis Montag gewartet zu haben, um die Fähre zu nehmen.
Streckenweise ist der Weg skandalös, und es ist unglaublich erschöpfend, durch die vereisten Schlaglöcher zu schlingern. Ich kneife die Augen zusammen, schaue starr auf den Weg. Die Kilometer beugen den Rücken, meine Schultern werden steif, und meine Nase beginnt, die Frontscheibe zu berühren. Doch dieser spezielle Griff, mit dem ich das Lenkrad wegen der Windstöße halten muss, ermüdet mich am meisten. Eine Art fest-loser Griff. Ich muss den Körper anspannen und permanent auf den nächsten Windstoß gefasst sein, muss dann aber versuchen, locker zu lassen und sanft in ihn hineinzusteuern, sobald er den Wagen ergreift. Trotzdem muss ich entschlossen sein und mich davor hüten, dem Steuer nachzugeben, wenn ich ein bisschen mehr Gas gebe. Jede plötzliche Lenkbewegung, zu viel Entschlossenheit, zu viel Nachgiebigkeit oder Ungenauigkeit beim Gasgeben führen dazu, dass der Wagen auf der Straße zu tanzen beginnt. In jede Bewegung des Lenkrads muss ich die Auswirkungen des Lochs mit einberechnen, über das ich gerade fahre.
Das Bremspedal ist am
Weitere Kostenlose Bücher