Liebe Isländer: Roman (German Edition)
eigentümlichen Berge zu betrachten, und wusste, dass nie irgendetwas Schlimmes geschehen würde, wenn die Sonne schien. Im Radio fasste Kristján Hreinsson, der Versschmied, die Nachrichten der letzten Woche in Strophen zusammen, und dieses wundersame Radioprogramm reimte sich ausgezeichnet mit dem Berufjörður. Am Ende der Sendung wurde ein Lied über das Niemals-Aufgeben gespielt, auch nicht bei Gegenwind, und doppelt gestärkt bog ich in die Straße nach Djúpivogur ein.
Vielleicht hatte ich einfach nur gute Laune, aber ich empfand Djúpivogur als eines der schönsten Dörfer, die ich besucht hatte. Immerhin hatte ich nun einige in Island gesehen. Ich muss gestehen, dass ich eigentlich immer dachte, Djúpivogur sei auf den Färöern, und vielleicht lag es daran, dass die Erscheinung des Ortes auf mich so sympathisch färöisch wirkte. Im Hafen schaukelten einige Fischkutter, und in den Kurven und Hängen, die vom Hafen aufstiegen, schmiegten sich alte Holzhäuser an noch ältere Lavawände. Hinter all dem erhebt sich die vierte Pyramide, Búlandstindur.
Im Straßenkiosk saßen vier Männer an einem Tisch und blätterten in der Werbung des neueröffneten Elektroladens Elkó. Die Verkäuferin ging energisch auf einen von ihnen los und wiederholte permanent: »Das ist nichts. Achtunddreißigtausend.« Er war in die Defensive übergegangen und murmelte etwas davon, dass sie einen Fernseher hätten. Ich wollte sie bei ihrer Auseinandersetzung nicht stören undschlich mich an den einzigen Fenstertisch. Auf der anderen Seite des Fjordes ließ der Berg nach dem gestrigen Sturm immer noch den Kopf hängen, über dem Hafen schwebten Möwen, doch es war schließlich nur noch ein weiteres kleines Dorf, und nach einer halben Stunde wurde ich unruhig.
Ich fuhr wieder los, und die Sonne schien weiter. Die Landschaft wurde schöner und abwechslungsreicher und grandioser. Ich hatte ständig das Gefühl, mich jetzt am schönsten Ort des Landes zu befinden, aber hinter jedem Hügel wartete noch etwas Neues und übertraf das, was ich gerade zuvor gesehen hatte. Bizarre Steine oder Berggipfel, Tümpel und Holme, schwarze Sande und gemusterte Sandbänke, gewaltige Felswände und furchteinflößende Lavaformationen oder weite Bergpanoramen.
Island war nicht zu vergleichen. Nichts glich ihm, und es war sich selbst nie gleich. Das Land zu umrunden war ein bisschen so gewesen wie einige Wochen lang ein Zimmer mit einem leicht beeinflussbaren Jugendlichen zu teilen, der es genauso häufig umgestaltet, wie er Gemütsschwankungen durchlebt. Manchmal quasselt er wie ein Wasserfall, manchmal hat er schlechte Laune, und man weiß nie, wo man ihn gerade erwischt. Manchmal ist er so unerträglich, dass man ihm eine feuern möchte, ihn aber natürlich nicht überbieten kann. Insgesamt alles etwas anstrengend und auf die Dauer deprimierend, doch in dem Zimmer brodelt eine Energie, von der man beinah abhängig wird.
Die Kilometer wanden sich auf dem Zähler voran, und ich passierte die letzten Geröllhalden, den letzten Fjord, die letzte Landzunge, die letzte Felsspitze. Die Schönheit der Natur erreichte ihren Höhepunkt bei Lón. Das ist nun wirklich einer der schönsten Orte, an die ich je gekommen bin, und zu deinem Leidwesen, liebe Leserin, lieber Leser, ist seine Schönheit unbeschreiblich. Als ich dort entlangfuhr, begann ich unfreiwillig zu lächeln und konnte damit nicht wieder aufhören. Dann begann ich zu kichern, dann zu lachen, und so fuhr ich bis nach Höfn. Doch natürlich spielten da mehrere Dinge zusammen.
Höfn
Auf den Straßen von Höfn war dichter Verkehr. Beladene Lieferwagen brausten vorüber, Pritschenwagen mit Maschinenteilen schossen an mir vorbei, und Gabelstapler krochen mit Fischbottichen auf ihren Gabeln voran. Dem Geruch nach zu urteilen verlief die Kapelan-Saison ausgezeichnet. Trotz des strahlenden Sonnenscheins zeigte das Thermometer auf der Reklamesäule dreizehn Grad minus. Frostgezwickte Fischarbeiter trabten auf den Fußwegen vorwärts, junge Mädchen schoben Kinderwagen vor sich her, und eine ältere Frau trippelte mit einem Einkaufsnetz in der Hand um die Eisflächen.
Als mir zwei Autos voller Leute begegneten, dröhnte ein schwerer Bass in die Seite von Lappi. Es war Sonnabend und die Gesellschaft entweder dabei, sich für den Abend aufzuwärmen, oder noch damit zugange, die Flaschen von gestern Abend zu leeren. Ich machte einen Kaffeestopp im ersten Straßenkiosk, den ich sah, und dort wurde mir
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