Liebe Isländer: Roman (German Edition)
mitgeteilt, dass man eine günstige Übernachtung in der Saisonherberge der Fischerei bekommen könnte.
Ich gelobte mir, konsequenter im Auto zu schlafen, sobald ich weiter nach Westen gekommen wäre, und fuhr zum Fischereiwohnheim. Auf jeder einzelnen Fensterbank an der Vorderseite des Gebäudes waren Kühlwaren aufgereiht; Butterstücke, Käse, Quark und Milch. Ein wenig Sauerduft und Fußmief verliehen dem Haus aber gleichzeitig einen netten Saisoncharakter. Nach kurzer Begutachtung stellte ich fest, dass die fettarme Milch viel beliebter war als diese gewöhnliche blaue Vollmilch.
Am Eingang war ein kleines Glaskabuff, das als Rezeption und Kiosk diente. Schlüssel an der Wand, Zigaretten und Süßigkeiten inRegalen, jedoch nirgendwo der Hauswart in Sicht. In der Gemeinschaftsküche, die zugleich Fernsehzimmer war, saßen zwei schwedische Mädchen und warteten darauf, dass ihre Pizza in der Mikrowelle fertig würde. Als ich mich nach dem Hauswart erkundigte, sagten sie, dass er komme und ginge. Ich setzte mich und betrachtete den Raum, während ich wartete. Am einen Ende stand ein großer Fernseher, am anderen Ende waren die Mikrowelle und drei vollgestopfte Kühlschränke. Tische und Stühle standen verteilt herum, und auf ihnen brechend volle Camel-Ascher. In der Luft der süße Geruch der Fischmehlherstellung.
Nach einigen Minuten kam ein stockbesoffener Junge in den Saal und sang in falschem Falsett, dass er den Regen mochte, hielt aber inne, als sein Blick auf mich fiel. »Wer bist denn du? Eyvindur aus den Bergen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Und du? Der verlorene Gibb-Bruder?«
Er befand, es sei nicht der Mühe wert, das zu beantworten, und wollte gerade gehen, als ich fragte: »Weißt du etwas über den Hauswart?«
Er drehte sich wieder um und griente. »Nein, ist es nicht genau der, der verschwunden ist?«
»Du weißt nicht, wo er hin ist?«
»Ich kümmer mich herzlich wenig darum, was der Hauswart macht«, antwortete er und wollte wieder davonlaufen, wurde aber beinahe von einem gestressten Mann in Max-Overall umgerannt, der wild gestikulierend in den Saal gestürzt kam und rief: »Ich brauche drei Leute zum Arbeiten, für drei Stunden, sofort!«
Während der Junge versuchte, die Balance wiederzufinden, sah der Mann mich prüfend an. Ich hatte schon begonnen zu überlegen, ob ich nicht einfach einschlagen sollte, als er zu den Mädchen sprach: »Two thousand per hour. Very easy job.«
Sie sahen einander an, dann zeigte die eine auf die Pizza, die vor ihnen auf dem Tisch lag, und schüttelte den Kopf. Auf dem Gesichtdes Mannes bildete sich ein Ausdruck von Panik, er sah auf die Uhr, dann wieder zu den Mädchen und sagte mit resignierendem Ton in der Stimme: »Okay, five thousand.«
Als sie weg waren, ging der Junge zu einem der Kühlschränke, kramte in den Tüten darin, zog eine Bierdose heraus und setzte sich an einen Tisch. Er sah aus, als wäre er ein ganz netter Typ, und in der Hoffnung, ihn zu einem Gespräch zu bewegen, sagte ich: »Du bist ja cool, dein Bier dort aufzubewahren.«
Er hob die Dose mit fragendem Blick: »Ist nicht meins.« Stand dann auf, holte noch eine Dose aus dem Kühlschrank und reichte sie mir. Er setzte sich wieder an den Tisch, trank dann und wann etwas und blickte abwesend aus dem Fenster. Sagte dann mehr zu sich selbst als zu mir: »Das Leben ist seltsam, Mann.«
»Wieso?«, fragte ich.
»Einfach so«, antwortete er.
Wir schwiegen zusammen und tranken unser Bier. Ich nach dem Hauswart Ausschau haltend, er nach irgendwas völlig anderem. Und wir schwiegen zusammen, und wir tranken unser Bier.
Heute werde ich nach Kirkjubæjarklaustur fahren. Es ist gleich neun Uhr und Sonne am Himmel. Ich sitze im Straßenkiosk in Höfn, esse Toastbrot und trinke meinen Kaffee. Am Nachbartisch gähnt der Tankwart und diskutiert mit seinem Freund den Stand der Premier League. Die Verkäuferin debattiert mit einem Kunden darüber, ob es dort »draußen am Arsch«, wo sie – wie er sagt – wohne, kälter sei oder hier im Ort. Sie erklärt, an keinem Arsch zu wohnen, und fügt hinzu: »Als ich zu Hause losfuhr, waren vierzehn Grad auf dem Thermometer, und hier zeigt das Thermometer auch vierzehn Grad.« Aber er besteht trotzdem darauf, dass es bei ihr zu Hause kälter sei. Oh nein. Oh doch. Oh nein. Oh doch. Dann lachen sie und wirken beide etwas nervös. Möglicherweise geht da etwas zwischen ihnen, oder möglicherweise sind es die kleinen Dinge, die am
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