Liebe ist der größte Schatz
Frauen in Anspruch genommen, die für ihre Verschwiegenheit bekannt waren. Doch jetzt, mit diesem fast unerträglichen Begehren und der unerfüllten Sehnsucht nach Emma Seatons Nähe, wollte er mehr als ein paar Stunden in den Armen einer Fremden verbringen.
Das Bild ihrer rosigen Brustspitzen erschien in genau dem Moment, als die Turmuhr von Westminster Abbey über der schlummernden Stadt zu schlagen begann, vor seinem inneren Auge. Er lächelte in die Dunkelheit und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass die Kutsche zum Stehen kam. Er war zu Hause.
Auf dem Heimweg öffnete Emerald Lady Lucindas Schreiben. Asher Wellingham sollte recht behalten: Die Zeilen seiner Schwester waren in genau dem schwärmerischen Ton verfasst, wie er es befürchtet und angekündigt hatte.
Zu Hause angekommen, warf Emerald einen letzten Blick auf die Zeilen, prägte sich das Wichtigste ein und warf den Brief auf die glosenden Scheite im Kamin.
Dann trat sie ans Fenster und sah in den Nachthimmel empor. Myriaden von Sternen strahlten über ihr, kein einziges Wölkchen trübte die Sicht. Der zunehmende Mond stand am östlichen Horizont, und sie vermutete, dass es morgen wieder regnen würde, da ein rötlicher Hof ihn umgab.
Sie fragte sich, wo der Duke of Carisbrook in diesem Augenblick sein mochte. Bestimmt liegt er in den Armen jener grünäugigen Schönheit, die ihn auf der Gesellschaft angehimmelt hat, dachte sie entnervt. Indes sollte dieser Gedanke sie nicht im Mindesten stören.
Schließlich bedeutete Asher Wellingham ihr nichts.
Binnen weniger Tage, sogar Stunden, wenn sie Glück hatte und die Karte fand, würde sie Falder wieder verlassen und abreisen.
Zu ihrem Verdruss kam ihr unvermittelt der Walzer, den sie getanzt hatten, in den Sinn, und plötzlich meinte sie seine Hand wieder auf ihrer Taille zu fühlen und den feinen Wollstoff seines Fracks an ihrer Wange zu spüren.
„Du lieber Himmel!“, sagte sie laut und stieß eine undamenhafte Verwünschung aus. Was machte dieses merkwürdige Land nur mit ihr? Sie wurde weich, sehnsüchtig und begehrte weit mehr von Asher, als lediglich mit ihm zu tanzen.
Sie war die Tochter ihres Vaters, hatte seinen Kampfgeist im Blut und war ohne zu zögern mit ihm an Bord gegangen, um wieder und wieder Schlachten zu schlagen und zu gewinnen. Ihre Narben waren Zeugnisse dieser Zeiten.
Emerald berührte das Mal über ihrem Auge. Eine Erinnerung an Black Jack Porrit und seine Männer, gegen die die Besatzung der „Mariposa“ im Winter 1819 vor der Küste von Barranquilla hatte kämpfen müssen.
In London würde sie nie dazugehören, und bevor auch nur Gerüchte darüber kursierten, wer ihr Vater war, würde sie England verlassen haben.
Entschlossen, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren, verdrängte Emerald ihre romantischen Anwandlungen, entkleidete sich und breitete ihr Bettzeug auf dem Fußboden vor dem Fenster aus. Die Kirchturmuhren der Stadt begannen zu schlagen. Zwei Uhr. Sie kuschelte sich in die Decken und flüsterte den Namen ihrer Schwester in die Dunkelheit.
„Bald, Ruby. Bald bin ich wieder zu Hause. Das verspreche ich dir.“
5. KAPITEL
Es hatte gerade aufgehört zu regnen, und die Sonne brach durch die Wolken, die über der Steilküste von Fleetness Point hingen, als Miriam und Emerald auf Falder eintrafen.
Falder.
Emerald hatte das Gefühl, nie zuvor ein schöneres Fleckchen Erde gesehen zu haben. Sanfte grüne Hügel zogen an ihren Augen vorüber, und in den Niederungen erstreckten sich Getreidefelder mit vereinzelten Baumgruppen. Wohin sie auch schaute – der Anblick der Landschaft war reizvoll. Sie wirkte kraftvoll und einsam, beinahe so, als befände man sich am Ende der Welt. Die Bergkuppen an der nahen Küste stürzten übergangslos in das kalte, eigenwillige und tiefe Meer hinab, und Emerald sog die salzige raue Luft tief in sich ein und lauschte den Schreien der Möwen.
So musste es sich anfühlen, wenn man nach Hause kam.
Der Herrensitz, der am Ende der Auffahrt lag, begrüßte sie mit dem schluchzenden Gesang einer Nachtigall. Flüchtig erhaschte Emerald eine Widerspiegelung ihrer selbst im Kutschenfenster und rümpfte die Nase. Ich werde mich wohl nie an die kurzen Haare gewöhnen, dachte sie und seufzte.
„Wenn der Duke etwas über uns herausfindet, werden wir im Handumdrehen aus dem Haus geworfen.“ Gedankenverloren spielte Miriam mit der Satinschnur ihres Ridiküls. „Und wenn du in Erwägung ziehst, wieder in deine Knabenkleider zu schlüpfen, um
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