Liebe ist der größte Schatz
Falder fühlte Emerald sich ihrer Tante plötzlich seltsam verbunden, und sie legte fürsorglich die Hand auf ihre Schulter, während der Gastgeber die Dowager Duchess of Carisbrook entschuldigte. Sie sei indisponiert, ließ jedoch einen herzlichen Willkommensgruß übermitteln. Endlich stellte er seinen Bruder vor, den Gentleman an seiner Seite.
Taris Wellingham, der ebenso schwarze Haare hatte wie sein Bruder, trug dicke Brillengläser. Er hielt sich an dem großen Wandschrank fest und stand noch immer an Ashers Seite. Emerald wartete, dass er auf sie zukam, um sie zu begrüßen, doch er bewegte sich nicht von der Stelle.
„Mein Bruder hatte einen Unfall in der Karibik. Wenn ich Sie daher bitten dürfte, näher zu kommen.“ Ashers Stimme klang so teilnahmslos, dass es Emerald für einen Augenblick die Sprache verschlug.
„Es … das tut mir …“, sagte sie laut in Taris’ Richtung, aber Asher schnitt ihr das Wort ab.
„Mein Bruder ist nicht taub“, erklärte er scharf. Miriam sank eingeschüchtert in ihren Sessel zurück, doch Emerald trat ein paar Schritte vor, bis sie das Gefühl hatte, dass Taris Wellingham sie erkennen konnte. Er musterte sie mit undurchdringlicher Miene. Emerald vermochte sich des Gefühls nicht zu erwehren, dass er mehr sah, als es ihr lieb war.
„Ihr Akzent klingt so, als kämen Sie von weit her, Lady Emma.“
Emerald schwieg, denn es widerstrebte ihr, einen Mann anzulügen, der so furchtbar verletzt worden war. Eine lange Narbe zog sich von seiner linken Augenbraue bis über die Wange, und Emerald zweifelte keinen Moment daran, dass sie von einem Streifschuss herrührte. Sie konnte nur hoffen, dass nicht ihr Vater für Taris’ Verwundung verantwortlich war, und atmete erleichtert auf, als in diesem Augenblick eine Dienstbotin den Salon betrat und ihnen Erfrischungsgetränke zu servieren begann. Für den Moment war Taris Wellingham von seiner im Raum stehenden Frage abgelenkt.
„Mein Bruder erzählte mir, dass Ihr Vetter Liam Kingston unsere Schwester vor dem Ruin bewahrt hat“, fuhr er schließlich fort und sah Emerald an, ohne dass ihre Blicke sich wirklich trafen. Er schien sie selbst aus der Nähe nicht wirklich erkennen zu können.
„Nun, ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass er sie vor dem Ruin bewahrt hat.“
„Nein?“, fragte Asher plötzlich mit ärgerlichem Unterton. „Ihr Cousin ist ein Held, auch wenn es ihm widerstrebt. Auf welchem Schiff ist er nach Amerika gereist, sagten Sie?“
„Auf der ‚Christobel‘“, erwiderte sie rasch, denn auf diese Frage war sie gefasst gewesen. Sie hatte sich erkundigt und schließlich die „Christobel“ gefunden, die zum geeigneten Zeitpunkt nach Amerika gesegelt war. Nur eines hatte sie nicht bedacht, wie ihr nun einfiel: Was geschähe, wenn Asher Wellingham sich die Passagierliste geben ließ und sie nach einem Liam Kingston durchsuchte? Oder wenn er herausfand, dass sie selbst in dem Kontor am Hafen gewesen war, um Nachforschungen anzustellen?
Emerald ahnte, dass er ihr und Miriam übel mitspielen würde, wenn er hinter ihre Lügen kam, aber sie sah keinen Weg, sich aus dem Netz von Täuschungen und Ausflüchten, in dem sie sich längst verfangen hatte, zu befreien.
Eine Woche, beschwor sie sich im Stillen. Sieben Tage, um die Karte zu finden und zu verschwinden. Wenn sie schnell fün dig würde, standen die Chancen gut, dass sie heil aus der Angelegenheit herauskamen. Wenn nicht …
„Falder ist ein prachtvolles Anwesen“, versuchte sie das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ und nach dem Spazierstock ihres Vaters absuchte. „Ich wette, das Haus hat über hundert Zimmer.“
„Alles in allem einhundertsiebenundzwanzig.“ Diese Information kam von Lucinda, die gerade den Salon betrat. Das junge Mädchen strahlte. „Es gibt zwei Bibliotheken und einen Ballsaal, und Asher hat kürzlich im Ostflügel sogar ein Fechtstudio einrichten lassen.“
Emerald ließ sich Lucindas Worte durch den Kopf gehen und beschloss, in der kommenden Nacht diesen Raum und die zahlreichen angrenzenden Zimmer zu durchsuchen, in die sie durch die offen stehenden Türen einen Blick hatte werfen können, als das Dienstmädchen sie in den Blauen Salon geführt hatte.
Zwei Stunden später befand Emerald sich wieder in ihrem Schlafzimmer, von dem aus man eine hübsche Aussicht auf die Allee und die Auffahrt des Hauses hatte. Sie war erleichtert, sich ein wenig
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