Liebe ist der größte Schatz
Emerald wütend, und sie bot all ihre schauspielerischen Fähigkeiten auf, indem sie ein strahlendes Lächeln auf ihre Lippen zauberte und zwitscherte: „Euer Gnaden, es ist gar nicht nett von Ihnen, dass Sie sich solch einen Spaß mit mir erlauben. Sie verspotten mich!“
„Ganz gewiss“, erwiderte er höflich und verneigte sich, denn in diesem Augenblick verstummte die Musik. „Allerdings frage ich mich manchmal, ob Sie wirklich so unbedarft sind, wie Sie sich mitunter geben.“
Emerald stockte der Atem, als sie ihn ansah. Eine Aura von Einsamkeit umgab ihn, die ihn von allen anderen trennte und jeden Menschen auf Distanz hielt.
Überschreite diese Linie, und du wirst verdammt sein.
Die fehlenden Finger an seiner rechten Hand und sein lahmes Bein milderten diese wortlose Drohung, doch Emerald konnte es sich nicht leisten, in ihrer Wachsamkeit ihm gegenüber nachzulassen.
Das Dinner wurde angekündigt, und Asher eskortierte Emerald zum Büfett, bei dem sich die Learys, Jack Henshaw und Charlotte Withers bereits eingefunden hatten. Nachdem die Teller gefüllt waren, nahm man an einem der Tische Platz, und Asher setzte sich neben Emerald. Das Gespräch wandte sich der Musik zu. „Haben Sie ein Spezialfach, Lady Emma? Spielen Sie ein Instrument?“, wollte Flora Leary wissen und sah ihre Tischnachbarin voller Interesse an.
„Nein, ich fürchte nicht.“ Die Gäste würden sich beim Essen sicher verschlucken, wenn sie hörten, dass Emerald weder Klavier noch Harfe, sondern Harmonika spielen gelernt hatte.
„Dann können Sie vielleicht singen?“
„Nein, auch das leider nicht.“ Gott behüte, wenn sie vor versammelter Runde eines der unflätigen Lieder zum Besten geben müsste, die sie auf den Knien irgendwelcher Matrosen gelernt hatte. „Mein Vater hegte die Überzeugung, dass Musik ein Werk des Teufels sei. Er war, müssen Sie verstehen, ein streng gläubiger Mensch.“
„Dann hat sich das Zusammenleben mit ihm bestimmt schwierig gestaltet“, bemerkte Asher. „Worin sind Sie denn versiert, Lady Emma?“
Angestrengt überlegte sie, was sie nennen konnte, ohne das Anstandsgefühl ihrer Zuhörer zu verletzen. „Ich bin eine gute Reiterin und verstehe mich vorzüglich aufs Kochen.“
Peinliche Stille breitete sich aus, bis Emerald gewahrte, dass sie einen Fehler begangen hatte.
„Sicher meinen Sie, dass Sie sich darin verstehen, Menüs zu planen, Lady Emma. Eine höchst begrüßenswerte Beschäftigung. Nun, ich erinnere mich, dass meine Mutter Geschick darin bewies, den richtigen Wein zum Fleisch auszuwählen. Es hat sie vor einem Festmahl immer viel Zeit gekostet. Meinten Sie das, meine Liebe?“ Die freundliche und gütige Lady Flora hatte ihr einen Ausweg geboten, den Emerald dankbar annahm.
„Genau das meinte ich.“
Lady Charlotte neigte sich vor und legte ihre Hand auf Asher Wellinghams Arm. „Ihr Bruder Taris war doch immer ein Kenner erlesenen Weines, Euer Gnaden. Wie geht es ihm? Kann er wieder besser sehen?“
„Deutlich besser.“
„Wie wunderbar. Das ist die schönste Nachricht, die ich seit Langem gehört habe. Sagen Sie ihm, dass ich mich nach ihm erkundigt habe. Wenn er in nächster Zukunft einmal in London …“
„Ich werde es ihm ausrichten“, fiel Asher ihr nun ziemlich brüsk ins Wort.
Emerald ahnte, dass Charlotte Withers ein heikles Sujet angesprochen hatte. Miriam hatte ihr von Taris erzählt, ohne jedoch ein Wort über sein Augenleiden zu verlieren. Ashers Miene zeigte nicht die geringste Gefühlsregung bei der Erwähnung seines Bruders, doch Emerald nahm ihm seine Gleichgültigkeit nicht ab. Wer weiß, was dahintersteckt, dachte sie und stellte fest, dass ihre Neugier geweckt war. Der Reise nach Falder sah sie nun mit umso mehr Ungeduld entgegen, da sie dort bestimmt seinen Bruder kennenlernen würde.
Offenbar trug der Duke of Carisbrook viele Geheimnisse in seinem Herzen und verstand es vorzüglich, seine Gefühle hinter einer Fassade strenger Selbstkontrolle zu verbergen.
Disziplin und Beherrschtheit hatten sich in Form einer tiefen Linie zwischen seinen Augen verewigt, durch die sein schönes maskulines Antlitz einen ernsten, beinahe schwermütigen Zug erhielt. Selbst wenn er amüsiert schien und lachte, vermochte die Heiterkeit seine Augen selten zu erreichen. Auch hier, mitten in der vergnügten Londoner Gesellschaft, wo die Zerstreuung gesucht wurde, war er nicht so gelöst wie die anderen Gäste.
Er wirkte, als sei er beständig auf der Hut. Emerald
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