Liebe ist der größte Schatz
Auf dem Boden hockend, umfing er seine Knie, als suche er Schutz. „Ich habe mir so oft gewünscht, Melanie an den Ort zu folgen, wo sie jetzt ist und auf mich wartet … aber seit ich Emma Seaton kenne, ist dieses Bedürfnis auf einmal verschwunden.“ Asher legte den Kopf in den Nacken und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel war wolkenverhangen und die Nacht pechschwarz. Er verabscheute es, wenn er die Kontrolle verlor und man es seiner Stimme anmerkte.
„Melanie würde wollen, dass du glücklich bist. Dass du wieder lachst und dich verliebst.“
„Wirklich?“ Asher strich über den kristallenen Stiel seines Weinglases und stieß ein unfrohes Lachen aus. „Ich entsinne mich, wie sie einst in Schottland fast in einen reißenden Fluss gestürzt wäre. Ich konnte sie gerade noch packen und zurückreißen. Sie sagte damals, wenn mir etwas zustieße, würde sie bis in alle Ewigkeit um mich trauern. Bis in alle Ewigkeit … wie unendlich lang.“
Sein Bruder erwiderte nichts darauf. Er nahm seine Brille ab und steckte sie in die Rocktasche. Taris’ einziger Sehsinn ist sein Gedächtnis, dachte Asher verschwommen und spürte, wie der Hass auf Beau Sandford wieder in ihm hochkam. Die schmerzenden Narben auf seinem Rücken hatte er ihm ebenso zu verdanken wie Taris den Verlust seines Augenlichts. Obwohl er längst tot war, verfolgte der Freibeuter ihn in seinen Träumen.
„Geh schlafen, Taris. Ich komme allein zurecht.“
„Ich kann ebenso gut bei dir bleiben.“
„Nein“, versetzte Asher knapp und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass sein Bruder zur Tür ging und ihn mit seinen Dämonen allein ließ.
Emerald war früh aufgewacht und hatte beschlossen, einen Morgenspaziergang zu unternehmen. Sie war auf dem Rückweg zum Herrenhaus, als sie ein schwaches Licht in dem kleinen Salon bemerkte, den sie in der vorvergangenen Nacht durchsucht hatte. Wenn Asher Wellingham bereits aufgestanden war, würde sie mit ihm über das Vorkommnis gestern am Strand sprechen. Sie hätte ihn nicht küssen, nicht allein mit ihm zurückreiten dürfen. Sie konnte nicht glauben, was sie getan hatte, sie, die im Umgang mit dem anderen Geschlecht stets so besonnen gewesen war. Gleichviel – sie musste jedwede Intimität mit Asher unterbinden, bevor sie sich zu etwas hinreißen ließ, was sie mit Sicherheit bereuen würde. Und genau dies würde sie ihm mitteilen.
Der Duke of Carisbrook saß auf dem Boden, als sie die Tür des Salons aufstieß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt und einer leeren Flasche Whisky neben sich auf dem Teppich. Er sah mit einem so durchdringenden Blick zu ihr hoch, dass sie erschrak, machte jedoch keine Anstalten, sich zu erheben. Mit seinem gelockerten und schief sitzenden Krawattentuch, den zerwühlten schwarzen Haaren und dem dunklen Bartschatten wirkte er wie ein zügelloser Engel der Finsternis.
„Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte sie unsicher. „Ich habe von draußen Licht brennen sehen und dachte, ich könnte mit Ihnen sprechen. Über gestern.“
„Zu einem anderen Zeitpunkt, wenn es möglich ist“, erwiderte er mit sanfter Stimme. Sie war erleichtert, dass er nicht ungehalten klang – im Gegenteil: Sie hätte schwören können, dass er ihr Anliegen belustigend fand.
„Kommen Sie zurecht?“, wollte sie wissen. Es schien ihr unmöglich, einfach zu gehen und ihn dort am Boden sitzen zu lassen.
Er warf einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass der neue Tag sich bereits ankündigte. „Bestens. Jetzt“, erklärte er und schob sich die Wand hinauf, bis er stand. Emerald musste an sich halten, um ihm nicht zu Hilfe zu eilen, als er leicht ins Wanken geriet und sich mit beiden Händen an den Schädel griff, wie um ihn am Bersten zu hindern.
„Haben Sie diese Nacht überhaupt ein Auge zugetan?“
Er schüttelte den Kopf und blinzelte in die ersten Sonnenstrahlen.
Emerald begann sich zu fragen, ob er wohl jemals schlief. Der Morgen nach dem Ball fiel ihr ein. Die Nacht, in der sie diesen Salon durchsucht hatte. Heute. Es war nicht das erste Mal, dass er zu so früher Stunde oder des Nachts noch wach war. „Mein Vater schwor auf einen bestimmten Kräutertrank, wenn er nach ein paar Gläsern zu viel einen Kater hatte.“
Asher ließ die Arme sinken und hob eine Braue. „Er scheint in der Tat ein Mann mit vielen Talenten gewesen zu sein. Kennen Sie das Rezept?“
Überrascht, dass er sie wahrhaftig um einen Gefallen zu bitten schien, sah sie ihn an. „Ich bräuchte verschiedene
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