Liebe ist ein Kleid aus Feuer
beruhigen!« Eila löste sich, stand weinend vor ihr. »Sie haben kein Recht dazu, uns so zu behandeln. Mich hier einzusperren – und ihn … Wo kann er nur sein, Rose? Vielleicht werd ich ihn niemals wieder sehen.«
»Vielleicht aber doch«, sagte Rose. »Wenn du es nur schlau genug anstellst.«
»Was soll das heißen? Sag mir sofort, was du damit meinst!«
Rose strich ihr mit zärtlicher Geste eine rote Locke zurück, die sich vorwitzig aus dem Schleier gelöst hatte.
»Aus dir wird niemals eine fromme Schwester«, sagte sie. »Da muss ich Bihilit wirklich zustimmen.«
NOVEMBER 950
AM RAMMELSBERG
Sie brachten ihn herein, führten ihn nach vorn, lösten dann seine Fesseln. Als Letztes wurde ihm die Augenbinde abgenommen.
Lando blinzelte, sah zunächst nichts als Schwarz und Weiß, konnte schließlich jedoch Umhänge und Kapuzen unterscheiden, aus denen ihm blasse, ernste Gesichter entgegenstarrten. Er war erleichtert, dass es endlich so weit war, obwohl er mit dem Schlimmsten rechnen musste. Zu seiner Überraschung hatten sie nicht den Bergvogt geholt; vielleicht lag es daran, dass seit gestern unentwegt Schnee fiel und jeder Weg beschwerlich geworden war.
In der Johanniskirche war es so kalt, dass jeder Atemzug kleine Wölkchen hervorrief. Aber hier war es immer noch besser als auf der windigen Hochebene, auf der sonst Gericht gehalten wurde.
»Das Urteil der Knappschaft ist gefällt«, sagte Willem. »Durch deine Hand ist einer unserer Männer zu Tode gekommen. Bereust du deine Tat, Lando, und bist du zur Buße bereit, die wir dir auferlegen werden?«
Sie hatten Jon auf dem kleinen Friedhof neben der Kirche begraben und sich beim Ausheben der Grube anstrengen müssen, denn die Erde war hart gefroren. Er hatte nach Landos Schlag noch gelebt, war von einigen Männern in seine Hütte gebracht und verbunden worden. Erst im Morgengrauen war der Tod gekommen.
Seitdem lag ein Bleigewicht auf Landos Brust, und es passte zu seiner inneren Verfassung, dass der Himmel seitdem ebenso grau und bleiern über ihnen hing. Lando schlief kaum noch, denn sobald er die Augen zumachte, stand Jon vor ihm, streckte die Hand nach ihm aus und versuchte, ihn auf seine Seite zu ziehen.
Würde er heute den dunklen Fluss überqueren müssen?
»Ich bereue«, sagte er. »Und ich bin bereit, die Buße auf mich zu nehmen. Es war Notwehr, das hab ich auf die Heilige Schrift geschworen, aber Jon hätte trotz alledem niemals sterben dürfen.«
»Wir hätten dich zum Tod durch den Strang verurteilen können«, sagte Willem. »Das ist das Urteil, das einen Mörder erwartet. Denn einer von uns ist tot, und es gibt keine Zeugen, die deine Geschichte bestätigen könnten. Aber du bist uns bislang noch nie als Heißsporn oder Schläger aufgefallen. Außerdem hast du einen Schwächeren verteidigt. Das haben wir schließlich zu deinen Gunsten ausgelegt. Allerdings ist Blut geflossen – und du weißt, vergossenes Blut wiegt schwer.«
Eine große Schwäche erfasste Lando, kroch von den Knien langsam nach oben. Sein Kopf wurde leer, und in seinen Ohren begann es zu rauschen. Würden sie ihm die rechte Hand abschlagen? Ihn blenden? Oder stumm machen, wie man es mit Andres getan hatte?
»Es gibt ein Weib, das um ihn weint«, Willems Stimme war tief und ruhig. »Auch wenn sie noch nicht am Altar waren. Du wirst ihr Wergeld zahlen müssen, was lange, harte Arbeit für dich bedeutet. Außerdem ist nun sein Platz im Stollen verwaist. Du nimmst ihn ein, wirst an Jons Stelle Erz schlagen, solange du noch eine Hand heben kannst. Morgen fährst du mit den Montani ein. Sie werden dich an Ort und Stelle anleiten.«
Das Rauschen in Landos Ohren verstärkte sich, als habe sich alles Blut seines Körpers an dieser Stelle versammelt.
Der Berg, dachte er, jetzt hat er mich geholt und wird mich niemals wieder freigeben!
»Nimmst du dein Urteil an?«, fragte Willem.
»Ich nehme mein Urteil an«, brachte Lando mühsam hervor.
»Eines noch«, sagte Willem. »Jeder Fluchtversuch macht dieses Urteil auf der Stelle zunichte, das musst du wissen. Läufst du davon und wir bekommen dich zu fassen, so hast du dein Leben verwirkt.«
Wie betäubt taumelte Lando aus der Kirche. Er war nur ein paar Schritte weit gekommen, als Reusin sich auf ihn stürzte. In der ersten Überraschung hätte er sie beinahe nicht erkannt. Ihr Kleid war zerrissen, das lange Haar wüst und zerzaust. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen.
»Mörder!«, schrie sie. »Wieso hast du ihn mir
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