Liebe ist ein Kleid aus Feuer
vorging.
Was hatte Rose nicht alles versucht – ihm Lieder vorgesungen, ihm Legenden erzählt, mit ihm im warmen Sonnenlicht gesessen oder durch den grünen Sommerwald spaziert! Sogar in den Pferdestall hatte sie ihn eines Tages mit Riccardis’ Hilfe gebracht, in der Hoffnung, die Tiere könnten vielleicht irgendeine Form von Erinnerung in ihm auslösen. Doch nichts von alledem hatte gefruchtet.
Es war, als hätte ein riesiges Schabemesser all das in seinem Gedächtnis ausradiert, was früher einmal lebendig gewesen war. Lando lebte, blieb nach außen jedoch leer und stumpf. Ein Instrument, das seinen schönen Klang verloren hat, dachte Rose manchmal, wenn sie ihn ansah. Eine überdehnte Saite, die nichts und niemand mehr zum Schwingen zu bringen vermochte.
Sie betete für ihn, und noch öfter weinte sie um ihn. Allein an Lando zu denken genügte bereits, um Roses Augen feucht werden zu lassen.
Doch auch um die Herzensfreundin machte sie sich die allergrößten Sorgen. Gerberga hatte ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit Dinge anvertraut, die sie zuerst kaum glauben mochte, inzwischen jedoch für möglich hielt: Der Herzog und die Herzogin seien mit einem Verschwörerheer nach Italien gezogen, um dort die Krone an sich zu reißen. Otto habe seinen Sohn verstoßen und mit ihm alle, die ihn verraten haben.
Was bedeutete das für Eila?
War Eila auch eine von ihnen? Blieb ihr denn als Hofdame und Vertraute Idas überhaupt eine andere Wahl? Aber wie würde Raymond das aufnehmen, der doch dem König stets treu gedient hatte? Und auf welcher Seite standen Sigmar und ihr eigener Vater, der sich ihr gegenüber seit Jahren verhielt, als wäre sie nichts als eine schwere Bürde und er hätte besser niemals eine Tochter gehabt?
Rose fuhr aus ihren Gedanken auf, als sie plötzlich Männerstimmen hörte. Männerstimmen in einem Kanonissinnenstift, bevor zur Laudes geläutet wurde?
Sie schlich hinaus, hielt sich am Geländer fest und starrte nach unten. Flackernder Lichtschein verriet, dass es mindestens zwei Männer waren und dass sie etwas mit sich zerrten. Etwas, das lebendig war und groß dazu, und das leises Stöhnen von sich gab.
»Tut ihm nicht weh!«, hörte sie Bihilit zischen. »Und macht um Gottes willen keinen Lärm! Kein Aufsehen, das hatten wir doch vereinbart!«
Jetzt gab es kein Halten mehr für Rose. Sie lief die Treppen so schnell herunter, dass sie beinahe gefallen wäre.
»Wo bringt ihr ihn hin?«, rief sie. »Wer seid ihr überhaupt?«
Einer der Männer leuchtete sie an, und jetzt erkannte Rose, dass die nächtlichen Besucher das Habit der Schwarzen Brüder trugen. Zwei Mönche waren es, die Lando in ihrer Mitte festhielten.
»Er wird künftig mit uns im Kloster Corvey leben«, sagte der Größere von ihnen. »Dorthin passt er besser als zu euch.«
»Das kannst du doch nicht zulassen!« Rose wandte sich an die Priorin. »Du hast versprochen, dass er …«
»Es war ein Versuch, nicht mehr und nicht weniger«, unterbrach sie Bihilit. »Ein Versuch, der leider misslungen ist, wie du selber zugeben musst. Es gibt keine Anzeichen irgendeiner Besserung, oder täusche ich mich da?«
»Und deshalb ist es die Anstrengungen nicht wert in deinen Augen? Deshalb lässt du ihn jetzt heimlich wegschaffen wie ein Vieh, das man im Schutz der Nacht zur Schlachtbank schleppt?«
»Mäßige dich, Rose!«, sagte Bihilit streng. »Dein Zorn ist fehl am Platz. Ich würde anders handeln, gäbe es auch nur die geringste Hoffnung. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Dein Freund Lando wird nicht mehr aus dem Dämmer erwachen, nicht nach menschlichem Ermessen.«
»Rede nicht so von ihm«, sagte Rose voll ohnmächtiger Wut, weil sie nicht mit besseren Argumenten kontern konnte, »als sei er gar nicht da! Lando hört uns, das weiß ich. Er versteht jedes Wort. Auch, wenn er es vielleicht noch nicht zeigen kann.«
»Der Versuch ist hiermit beendet«, sagte Bihilit. »Die Brüder werden sich ab jetzt seiner annehmen. Und wenn der Allmächtige will, wird es Besserung für ihn geben – eines Tages.«
»Und weshalb dann gleich Corvey? Weshalb nicht Kloster Brunshausen, das sehr viel näher liegt, sehr viel besser erreichbar ist?«
»Die Priorin dieses Stifts bin ich«, sagte Bihilit. »Ich treffe hier die Entscheidungen.«
»Lando, ich …« Rose, die sich an den Kranken gewandt hatte, versagte die Stimme, so verzweifelt war sie.
Lando hob bei ihren Worten nicht einmal den Kopf, sondern stierte vor sich auf den
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