Liebe ist jenseits von Gut und Böse (Die Ostküsten-Reihe) (German Edition)
Connors wie üblich schonungslose Ehrlichkeit aufgebaut hatte, entschied sich Daniel für ein gemütliches Spaziertempo. Vielleicht reichte es, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen. Er blieb nicht lang allein, doch da Tristan schwieg, beschloss Daniel ihn fürs Erste einfach zu ignorieren.
Ja, er vermisste Mareike und er hätte eine Menge darum gegeben, sie zu sehen und sich in ihrer immer so sanften Umarmung verlieren zu können, wie er es oft getan hatte, als sie noch Kinder gewesen waren. Aber sie waren keine Kinder mehr und seine Schwester war nicht hier, um ihm den Schutz zu bieten, den er suchte und vor allem brauchte. Selbst wenn sie hier gewesen wäre, hätte sie es kaum getan. Seit seinem Geständnis, dass er 'anders' war, hatte es keine Umarmungen mehr gegeben, die über ein freundliches Küsschen links, Küsschen rechts hinausgegangen war. Wie Bekannte, die zwar den Schein wahrten, sich aber eigentlich nichts zu sagen hatten.
„Dan? Versuch es doch einfach mal.“
„Was?“ fragte er ratlos, sah Tristan aber nicht an, der neben ihm herlief.
„Ich bin zwar nicht weiblich, wie deine Schwester, aber ich bin ein großer Bruder, der absolut nichts dagegen hätte, dir ein klein wenig Sicherheit zu geben.“
Daniel schüttelte ablehnend den Kopf, blieb aber stehen, als Tristan nach seinem Arm griff und ihn zurückhielt. Er wehrte sich auch nicht gegen den Finger, der im nächsten Moment unter sein Kinn gelegt wurde und es anhob, bis er Tristan in die Augen sehen musste.
„Es ist nichts Falsches daran, sich an jemanden anzulehnen, wenn man es braucht, Dan. Das weißt du ganz genau.“
„Du kannst nicht...“ Tristans Kopfschütteln ließ ihn verstummen.
„Ich kann alles, Dan. Sei kein Frosch.“
„Es ist nicht dasselbe“, wehrte Daniel ab, verzweifelt darum bemüht die Haltung zu wahren, die immer weiter von ihm abbröckelte wie trockener Mörtel von einer Mauer, doch Tristan ließ nicht locker.
„Wir beide sind auch keine kleinen Kinder mehr, wie du und deine Schwester es zu der Zeit wart“, erklärte der ältere Bennett leise. „Aber wer sagt dir denn, dass es nicht besser wird, als in deinen Erinnerungen?“
„Ich weiß nicht“, murmelte Daniel unsicher.
Daraufhin lächelte Tristan, ließ ihn los und trat einen Schritt zurück, um dann beide Arme auszubreiten. „Komm schon, Dan, trau dich“, lockte er und legte den Kopf ein wenig schräg. „Oder willst du, dass Connor alle Umarmungen für sich allein abstaubt?“
Daniel musste unwillkürlich lachen, obwohl ihm zum Weinen zumute war. Danach sah er Connors Bruder zweifelnd an. „Wieso ist das nur so schwer?“
Tristan zwinkerte verschwörerisch. „Weil der erste Schritt immer der Schwerste ist. Aber wenn du den geschafft hast, ist der Rest ein Kinderspiel.“
„Gilt das für mein Leben oder nur für deine Umarmung?“, wollte Daniel wissen, kam damit aber nicht durch. Es hätte ihn auch sehr gewundert.
„Dan“, tadelte Tristan schmunzelnd.
Daniel zuckte die Schultern, doch so gelassen, wie er sich gab, war er nicht und Tristan wusste das. „Es war einen Versuch wert.“
„Komm her“, murmelte Tristan daraufhin erneut.
Er zögerte, sah ängstlich zur Seite, dann an Connors Bruder vorbei in die Äste der Bäume, die kaum noch Blätter trugen, und schließlich zu Boden. Am liebsten hätte er Tristan gebeten, ihm wenigstens einen Schritt entgegenzukommen, doch schon im nächsten Moment ärgerte er sich über seine andauernde Feigheit und das gab den Ausschlag, der ihn den Abstand zu Tristan überwinden ließ.
Daniel brauchte ein paar Sekunden, um das vorsichtige Streicheln von Tristans Händen über seinen Rücken zu spüren. Wieso waren nicht alle Menschen so, wie die Bennetts oder Nick? Im nächsten Moment fühlte er die Tränen auf seinen Wangen.
„Hey, du weinst ja“, flüsterte Tristan rau.
„Tschuldige“, nuschelte er in den Stoff von dessen dicker Jacke und presste sich gleich darauf noch dichter an Tristan.
Er wollte das hier nicht schon wieder aufgeben, dafür fühlte es sich einfach viel zu gut an. Daniel wusste, dass er sich wie ein kleiner Junge benahm, aber er hatte sich so lange Zeit nach der Sicherheit und Geborgenheit gesehnt, die Tristans Umarmung ihm gerade bot; selbst wenn die Welt neben ihnen unter gegangen wäre, er hätte Tristan nicht freiwillig losgelassen.
Und der schien genau zu wissen, was in ihm vorging, denn er verstärkte seine Umarmung und legte zusätzlich das Kinn auf seinem Kopf
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