Liebe ist stärker als der Tod
Degas und zwei Niederländer aus dem 17. Jahrhundert gekauft. Das warf eine hochinteressante Frage auf, die er sich nicht versagen konnte: »Wie sind Sie, wenn Sie bei Monsieur Chabras im Hause sind, mit Madame Lebrun in Berührung gekommen?«
Dazwischen liegt eine Welt, dachte Callac. Leider, Cosima. Es gab eine Zeit, in der du für die großen Salons von Paris wie geschaffen warst. Und dann heiratet sie im Krieg den Dachdecker Lebrun! Es gibt Schicksalsschläge, die man nie verdaut …
»Ich wohne bei Madame«, sagte Ev. »Seit gestern.«
»Sie haben Château Aurore verlassen?«
»Es war nötig, Monsieur.«
Callac spürte, daß da etwas im Hintergrund lag, was ihn nichts anging. Andererseits hatte Coco – ein fürchterlicher Name! – eingegriffen, und das berührte ihn unmittelbar. Es war das zweitemal, daß Cosima Lebrun ihn mit Personen attackierte, mit denen er nichts anzufangen wußte. Erst der unbegabte Maler Pierre de Sangries, jetzt eine Deutsche, die sich ihm vorstellte als neue Sekretärin. Bis zum heutigen Tag hatte Callac nie eine Sekretärin gebraucht. Seine Briefe – es waren nicht viele – schrieb er auf einer uralten, aber äußerst stabilen Schreibmaschine, Marke Nistère. Keiner kannte diese Marke … es mußte eine Fabrik gewesen sein, die irgendwann Anfang der zwanziger Jahre entstanden und gleich wieder in Konkurs gegangen war. Aber die Maschine schrieb unverdrossen mit einer fremden, schnörkeligen, ergreifend nostalgischen Schrift, einem Vorläufer des Jugendstils. Man hatte Callac für diese Schreibmaschine schon 5.000 Francs geboten, dann 10.000 … von da ab putzte und ölte er sie jede Woche und behandelte sie wie eine heimliche Geliebte. Undenkbar, daß jetzt ein fremdes Wesen, wie zum Beispiel dieses zugegeben nette und hübsche Mädchen aus Deutschland diese sakramentalen Tasten berührte.
»Ich brauche keine Schreibkraft«, sagte Callac wie erwartet. »Madame Lebrun irrt.«
»Madame bittet Sie, sich an die Camargue zu erinnern –« Es war wie ein Notschrei, und etwas anderes war es auch nicht. Ev hatte sich vorgenommen, diesen Satz nie zu sagen. Er verbarg irgendeinen großen Lebensabschnitt, das ahnte sie. Er rührte an ein Gewissen … oder er war vielleicht auch nur die hundsföttischste Erpressung, die man aussprechen konnte. Callac jedenfalls zeigte sofort Wirkung, und man muß das boxerisch ausdrücken, denn er zuckte zusammen wie nach einem Tiefschlag. Seine scharfe Brille beschlug. Theoretisch war er jetzt blind.
»Kommen Sie in mein Büro, Mademoiselle –«, sagte er mit einer deutlichen Zärtlichkeit in der Stimme. »Aber leiten Sie davon keinerlei Verständnis für Ihre Bewerbung ab –«
Wir kennen das Büro … es war klein, überladen mit Akten, Ordnern, Schnellheftern, unbeantworteten Briefen, Rechnungen, und Notizzetteln, auf denen sich Callac alles, was für ihn wissenswert war, notierte und wieder vergaß. An den Wänden lehnten Stapel ungerahmter Bilder, die auf einen Haken in der Galerie warteten. Ev sah auch Pierres Bauernköpfe … sie lehnten neben der Zentralheizung, allein, wie ausgestoßen, wie bereitgestellt für den Sperrmüll. Das traf sie tief, und sie beschloß, den Kampf gegen Marius Callac aufzunehmen. Jeder Mann ist verwundbar, man muß nur eine Stelle ertasten. Die Sage von Siegfried mit dem Lindenblatt auf der Schulter gilt noch immer und wird nie unmodern werden.
Sie saßen sich gegenüber, zwischen sich der Fernsehschirm. Callac goß sich eine Tasse Tee ein und dazu ein hohes, schlankes Glas mit goldgelbem Kognak. Das war sein zweites Frühstück (zusammen mit einem Toast); das erste Frühstück nahm er schon um sechs Uhr in der Früh zu sich. Ein alter Mann braucht wenig Schlaf, und gerade Callac war nie ein großer Schläfer gewesen. In den frühen Morgenstunden entwickelte sich sein großes händlerisches Genie. Schon mancher unbekannte Maler war durch Callac entdeckt und gefördert worden und natürlich auch bekannt geworden, weil Callac mit seinem ersten Frühstück zufrieden gewesen war.
»Auch eine Tasse, Mademoiselle?« fragte er jetzt.
»Lieber einen Kognak, Monsieur … wenn's möglich ist.« Ev lächelte. Wenn sie so wie jetzt lächelte, brannte sie Löcher in jedes Männerherz. Denn sie lächelte nicht nur mit dem Mund, der war hierbei unwichtig … ihre schönen Augen strahlten mit soviel ausbrechender Wärme und Freude, daß sich bei jedem Angelächelten der Blutdruck erhöhte.
Es war nicht festzustellen, welchen
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