Liebe kann man nicht planen, Casanova
zuwandte. „Es tut mir leid, dass ich Sie alle habe warten lassen! Aber ich hoffe, das Essen und der exzellente Service hier werden dafür entschädigen. Lassen Sie uns doch Platz nehmen.“
Während sie ihre Gerichte auswählten, drehte sich die Unterhaltung um ganz allgemeine Dinge. Welche Speisen man mochte und welche nicht, wie oft oder wie lange man schon in Hongkong lebte, was hier anders war als zu Hause. Eine Unterhaltung, an der sich selbst Poppy beteiligte, wenn auch zurückhaltend. Dann baten die beiden Schwestern Ruby, dass man sich duze, worauf diese gerne einging.
Im Folgenden sprach man von Traumzielen, von Sehnsuchtsorten, von Plätzen, an denen man sich zu Hause fühlte. Es war eine Art Small Talk zum Warmwerden, den sie führten. Und damit kannte Ruby sich bestens aus. Doch ihre Rhetoriklehrer hatten ihr beigebracht, wie man eine Unterhaltung führt , das heißt, wie man die Richtung bestimmt und wann man eingreift, wenn das Interesse abebbt. Dazu musste man allerdings das Gespräch dominieren, und das war es, was Ruby im Moment gar nicht wollte. Sie fühlte sich als Gast bei einer Familie, die sich lange nicht gesehen hatte, und bemühte sich darum, im Hintergrund zu bleiben. Nicht zuletzt wegen Damon.
Doch dann kam die Unterhaltung wieder auf sie. Russell gab bekannt, dass Ruby bei ihm gekündigt hatte und ihre Dienste bereits nächsten Monat aufgeben wolle.
„Warum?“, entfuhr es Damon scharf, und jegliche höfliche Zurückhaltung war aus seiner Stimme gewichen.
„Ich möchte mich wieder der Rechtswissenschaft widmen.“ Und das hatte nichts mit Damon zu tun. Nur musste sie ihm diesen Sachverhalt unbedingt klarmachen. „Ich denke schon länger darüber nach. Und neulich hat jemand mir gegenüber eine Bemerkung gemacht, die diesen Gedanken sozusagen zementiert hat. Ich hätte meine beginnende Karriere wohl nicht so schnell aufgeben sollen.“ Sie lächelte knapp. „Manchmal braucht es einen unverbrauchten Blick, damit man selbst das Offensichtliche erkennt.“
„Bleibst du in Hongkong?“, wollte Damon sofort wissen.
„Nicht unbedingt, nein“, murmelte Ruby etwas unsicher und nippte an ihrem Champagner. „Ich hatte an … Genf gedacht.“ Egal, dass Damon sie nun für ziemlich scheinheilig halten musste, da sie ihm quasi Vorwürfe gemacht hatte, weil es für ihn kein Zuhause gab.
Er starrte sie völlig verblüfft an, und als sie ihn ansah, wich sein Blick aus und konzentrierte sich stattdessen auf ihr violettes Haarband. Ruby wurde nervös.
„Es ist nur ein Accessoire, Damon! Ein festlicher Schmuck. Mehr Bedeutung steckt nicht dahinter.“
„Das ist mir schon klar.“ Jetzt sah ihr Damon direkt in die Augen. Und Ruby fluchte innerlich über ihre eigene Empfindsamkeit, die erst alle anderen am Tisch auf die Szene zwischen ihr und Damon aufmerksam gemacht hatte.
„Genf ist eine wunderschöne Stadt“, erklärte Damon ruhig und als sei nichts gewesen. Er wartete, bis der an den Tisch getretene Kellner für alle Wein nachgeschenkt hatte, bevor er weitersprach. „Vor genau einer Woche bin ich das letzte Mal dort gewesen. Direkt nach einem Auftrag in Brüssel hatte ich mich in Genf mit einem Geschäftsfreund verabredet.“
Damon sah Ruby nicht an, während er diese Worte sprach. Er sah überhaupt niemanden an, sondern hatte seinen Blick starr auf den Vorspeisenteller vor sich gerichtet. „Ich habe mit ihm eine Führung durch den Palast der Nation gemacht. Sehr empfehlenswert.“
Ruby war nicht die Einzige, die ihn völlig verblüfft anstarrte. Ausgerechnet die stille Poppy fand als Erste ihre Sprache wieder. „Du hast mir gar nicht gesagt, dass du in Brüssel warst!“ Enttäuschung klang in ihrer Stimme mit. „Wir hätten uns treffen können. Oxford liegt ja für unsere Verhältnisse nur einen Katzensprung entfernt.“
„Sorry, Poppy. Aber du weißt, dass ich Familie und Beruf strikt trenne.“
Was zum Kuckuck machte Damon West beruflich, dass er nicht zwischendurch für ein paar Stunden seine Schwester treffen konnte?
Damon sagte nichts darüber und niemand fragte nach. Am wenigsten natürlich Ruby. Sie sahen einander nur an, stumm und irritiert, und in Damons Blick lag nicht ein Hauch von Offenheit. Er sah aus wie ein Mann, der zu viel gesagt hatte und sich dessen soeben bewusst geworden war.
„Eine schöne Stadt, Brüssel …“, irgendjemand musste den Faden der Unterhaltung ja wieder aufnehmen. In solchen Situationen konnte sie ihre rhetorische Bildung nicht
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