Liebe läßt alle Blumen blühen
guter alter Sitte losdreschen – auf diesen Marcel Bondeau, der sich dann auch nicht wehrt, weil er diese Prügel gewöhnt ist. Marcel Bondeau ist ein Kind der Camargue. Schon sein Urgroßvater hatte Spuren hinterlassen: Dominique Bondeau ging in die Geschichte dieser Landschaft ein, weil er das Kunststück fertiggebracht hatte, sich totzusaufen. Das will etwas heißen, weil er ja mit Landwein großgezogen wurde und ein Anisschnaps zur täglichen Blutdruckregulierung gehörte.
Sein Sohn Frédéric war kein Säufer – er war ein Spinner. Er malte. Nun ist Malen in Frankreich und vor allem in der Provence die edelste Kunst, die man sich denken kann, und ein Maler genießt weitgehend Narrenfreiheit – aber was sich Frédéric Bondeau leistete, überstieg das Maß des Duldsamen. Er nannte sich überflüssigerweise ›Vincent II.‹, womit er unterstrich, ein zweiter van Gogh zu sein. Das hätte man noch hingenommen, aber als er begann, die weißgetünchten Hauswände seiner Nachbarn und später seiner weiteren Umgebung mit unanständigen Zeichnungen zu beschmieren – und alles mit der Begründung, so sei in Wahrheit der Mensch –, begann man zum erstenmal, die Familie Bondeau gesondert zu behandeln. Frédéric, das verkannte Genie, wurde ab und zu kräftig verprügelt und starb im Alter von fünfundfünfzig Jahren im Wahnsinn – wie sein großes Vorbild van Gogh. Der Vater unseres Marcel, der Maurerpolier Yves Bondeau, war eine Type besonderer Art: Er soff wie sein Großvater, malte dagegen nicht wie sein Vater, sondern erzählte überall ungeheuer schweinische Witze. Auch tat man gut daran, alles Weibliche aus seiner Nähe zu entfernen, nicht nur der Witze, sondern auch seiner Hände wegen, die blitzschnell und mit sicherem Griff unter jeden Weiberrock fuhren und helles Geschrei der Belästigten entfachten.
Man sollte nun meinen, daß die Leute am Etang ihre Fäuste schwingen ließen, um diesem Ausbund der Familie Bondeau halbwegs Manieren beizubringen, aber leider war das nicht möglich. Yves Bondeau, der Maurerpolier, war ein bärenstarker Kerl, der Zementsäcke wie Bäckertütchen umhertrug, Steine auf seinen Schultern stapeln konnte und im Notfall ein Zweileiterngerüst allein heranschleppte. Wo Yves hinschlug, da mußte die Ambulanz anrücken – darunter tat er es nicht. Die ganze Gegend atmete darum auf, als Yves Bondeau eines Tages vom Gerüst fiel und sich das Genick brach. Die Legende, daß man in der Kirche von St. Gilles aus diesem Grund ein Dankgebet gesprochen und mehrere lange Kerzen geopfert habe, ist dagegen unwahr.
Belastet mit der Erbmasse seiner Vorfahren, lebte nun Marcel Bondeau in dem einsamen Haus am Etang. Er war ein Säufer wie sein Urgroßvater, ein Schmierfink wie sein Großvater, ein Lästermaul wie sein Vater, außerdem war er ebenfalls Maurer. Er besaß eine Frau, die er liebevoll ›mein Ferkelchen‹ nannte, nur fehlte ihm die Kraft seines Vaters. Man konnte ihn also ungestraft verprügeln. Doch etwas anderes zeichnete ihn aus, wie ja ein Sproß der Familie Bondeau immer etwas Außergewöhnliches zu bieten hatte: Wenn er betrunken war und in eine Schlägerei verwickelt wurde, konnte er nach einem Schlag auf seinen Kopf in einen totenähnlichen Zustand verfallen.
Als das zum erstenmal geschah, versteckte sich der unglückliche vermeintliche Totschläger im festen Glauben, Marcel erschlagen zu haben. Dr. Bombette, den man sofort rief, stellte auch tatsächlich keine Atmung mehr fest, fertigte einen Totenschein aus und ließ Marcel Bondeau in die Leichenhalle transportieren. Sergeant Andratte begann mit der Suche nach dem Totschläger, wurde aber nach einem Tag wieder zurückgerufen. Ein Wunder war geschehen: Marcel Bondeau erhob sich aus seinem Sarg, gähnte, reckte die Arme, blies einen nicht sehr gut duftenden Alkoholatem von sich, stieg über ein altes Mütterchen, das an einem Nachbarsarg betete und bei seinem Anblick prompt in Ohnmacht fiel, hinweg, nahm ein fremdes Fahrrad, das an der Leichenhalle lehnte, und fuhr pfeifend an den Etang und in sein Haus zurück.
Josephine, seine Frau, die aus Freude über Marcels Ableben sich einen Braten gegönnt hatte, bekam ein blaues Auge. Sodann erschien Marcel Bondeau bei dem Sergeanten, der ebenfalls erbleichte, und beschimpfte ihn. Der nächste war Dr. Bombette. Er mußte sich sagen lassen, ein elender Nachttopfschwenker zu sein – aber kein Arzt. Der Doktor mußte eine Bescheinigung ausschreiben, daß Bondeau weiterhin lebe,
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