Liebe läßt alle Blumen blühen
»Ihre Aufgabe ist mehrteilig. Zunächst betrinken Sie sich, bis Sie randvoll sind …«
»Das kann er am besten!« warf Josephine ein.
»Halt's Maul, Ferkelchen!« sagte Marcel gespannt.
»Dann werden Sie einem Ehepaar begegnen. Einem sportlich trainierten Mann und einer schönen, sehr eleganten Dame. Es sind Deutsche, aber sie sprechen sehr gut französisch. Wenn Sie also zu Madame sagen: ›Schätzchen, für uns zwei habe ich ein Bett reserviert …‹«
»So was sage ich nie!« reklamierte Bondeau und wehrte mit den Händen ab. »Ich mache das viel einfacher! Ich fasse sie um den Unterleib und flüstere: ›Los, bébé …‹« Marcel grunzte zufrieden. »Das wirkt immer, was, Josephine? So habe ich auch meine Frau kennengelernt, Herr Marquis. – Aber das geht hier schlecht …«
»Warum?«
»Der Mann wird mir eine runterhauen!«
»Genau das soll er! Und dann fallen Sie tot um! Damit ist Ihre Aufgabe erledigt. Der Ehemann soll sich als Mörder fühlen …«
»Aber ich bin doch in drei Tagen wieder da …«
»Dann ist alles längst vorbei.« Raoul de Formentiére erhob sich. Bondeau und Josephine zuckten von ihren Stühlen hoch. »Einverstanden?«
»Hat man eine Wahl, wenn man arm ist?« antwortete Josephine kläglich anstelle ihres Mannes. Sie faltete von neuem die Hände und schaute treuherzig gegen die niedrige Zimmerdecke. »Gott möge uns verzeihen, daß wir die ewige Ruhe so mißbrauchen.«
»Das wird er tun …«, bestätigte der Marquis lakonisch.
»Und ich werde eine mustergültige Leiche sein«, sagte Marcel Bondeau, während er die Geldscheine zählte. Es waren tatsächlich genau 2.000 Francs. »Sie werden an mir nichts auszusetzen haben, Herr Marquis …«
13
Kathinka Braun und Ludwig Zipka warteten im dunklen Zimmer am Fenster auf die Rückkehr des Marquis.
Nach langer Zeit hörten sie Pferdegetrappel. Der Reiter stieg wieder am Tor ab und führte das Pferd am Zügel in den Stall, so leise, wie das möglich war. Der Marquis blickte einmal kurz zu dem Fenster hinauf und schien beruhigt zu sein, als sich dort nichts rührte.
»Benimmt sich so jemand, der ein reines Gewissen hat?« fragte Zipka leise. »Wie lange war er jetzt weg?«
»Über vier Stunden. Die Morgendämmerung kommt ja schon …«
Über dem fernen Rhônedelta wurde der Himmel wirklich schon streifig. Ein Lichtschimmer kroch über den Horizont. Die Nacht wurde fahl – der gleitende Übergang zum flammenden Morgenrot hatte begonnen.
»Bis zum Frühstück können wir noch etwas schlafen«, meinte Zipka und gähnte. Er ging zum Bett und ließ sich auf die bezogene Wolldecke fallen.
Kathinka blieb am Fenster stehen. »Kannst du jetzt wirklich schlafen?« fragte sie vorwurfsvoll.
»Da die adeligen Nächte anstrengend zu werden scheinen, sollten wir jede Gelegenheit wahrnehmen, Vorräte an Schlaf zu sammeln, Tinka. Bis zum Frühstück passiert nun nichts Dramatisches mehr, das ist sicher.«
»Ich mache kein Auge zu, Wig. Ich bin hellwach. Mein Gott, mußt du Nerven haben, jetzt schlafen zu können …«
»Es wird nicht besser, wenn ich im Zimmer herumlaufe.« Er klopfte einladend auf das Bett. »Tinka, Liebling – leg dich hin! Wir können es uns nicht leisten, dann müde zu sein, wenn wir alle Kraft brauchen.«
Kathinka nickte, legte sich brav neben ihn und kuschelte sich in seinen Arm, den er unter ihren Nacken schob.
Er streichelte ihre Wange und spielte zart mit ihrem Haar. Es war eine Zärtlichkeit, in die sie hineingleiten konnte, die beruhigte und ihr alle Angst nahm.
»Ich habe eine Idee …«, sagte Kathinka plötzlich.
»Vorsicht! Bisher waren deine Ideen Bumerangs, die uns Beulen einbrachten.«
»Wir fahren weiter!« Sie hob den Kopf, küßte Zipka auf die Nase und legte sich dann wieder zurück in seine Armbeuge. »Was hältst du davon? Wir fahren einfach weiter – die ganze Küste entlang bis zu den Pyrenäen. Dort, im Languedoc-Rousillon, gibt es wunderbare Strände und glasklares Wasser. Und wir sind weit, weit weg von der Camargue.«
»Du willst also weglaufen?«
»Wenn du es so nennst …«
»Du hast Angst!«
»Ja.«
»Wir werden damit noch ein paar Tage leben müssen.« Zipka schloß die Augen und drückte Kathinka an sich. »Dieser Marquis reizt mich jetzt. Irgend etwas mißfällt ihm an unserer Anwesenheit – und das muß ich herausbekommen! Es ist mir so, als ob ich seinen Lebensraum störte. Aber – womit?«
Ludwig gähnte von neuem, reckte sich etwas und fuhr mit leiser werdender
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