Liebe läßt alle Blumen blühen
aussieht, manchmal direkt trottelhaft, dieser Designer für Anglerfliegen, so verbirgt sich doch hinter dieser Harmlosigkeit eine alarmierende Intelligenz. Ohne es zu wissen, hatte er genau den Punkt getroffen: Auch Lulu wird verschwinden, ohne eine Erinnerung zu hinterlassen. Amtlich ist sie bereits bekannt als Mädchen, das im Etang ertrunken ist.
Niemand wird sie vermissen … Ihre Verwandten in Deutschland – wenn es welche gibt – ahnen nicht einmal, daß sie in der Camargue lebte. Ihre letzte Nachricht kam aus Korsika, und das ist lange her. Sie war eines der Mädchen, die in der Glitzerwelt herumschwirren wie Schmetterlinge, und die irgendwo unbekannt zu Boden fallen, wenn sie sich die Flügel verbrannt haben. Abfall der großen Welt – wie Zigarettenasche …
»Ja, sehr schön!« begann Raoul nach einer Pause von neuem. »Aber ihre Gedankenspiele, Monsieur Zipka, sind doch wohl in höchstem Maße makaber. Auf eine solche Idee ist hier noch niemand gekommen: Zugeschlagen! Die Menschen der Camargue sind gute Menschen, ehrliche Menschen, freie Menschen – eben weil sie mit der Natur so eng verbunden leben!« Der Marquis legte die Hände aneinander und blickte über die Fingerspitzen hinweg Kathinka an. »Wie soll es nun weitergehen, wenn Sie nicht fahren wollen?«
»Zunächst möchten wir Ihre Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch nehmen, Marquis«, sagte Ludwig Zipka. »Wir kehren zur Mühle zurück.«
»Das wird nicht gehen«, antwortete Raoul ruhig. »Die Moulin St. Jacques wird morgen amtlich versiegelt.«
Zipka spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Sie schließen Lulu ein, durchfuhr es ihn. Sie versiegeln sie. Um nicht zu verhungern, muß sie also aus ihrem Versteck heraus, und dann wird es zu ungeahnten Komplikationen kommen. Er blickte rasch zu Kathinka hinüber und las in ihren Blicken die gleichen Sorgen. »Warum schließt man die Mühle?« fragte er heiser.
»Sie hat Unglück genug gebracht. Der traurige Fall der armen Lulu sollte wirklich der letzte sein! Wenn die Mühle nicht unter Denkmalschutz stünde, hätte man sie längst abgerissen. Sie ist ja auch wirklich zu nichts mehr nütze … Ein Überbleibsel aus sehr rauhen, gottlob vergangenen Jahrhunderten. Ein Knochenfinger der Vergangenheit, der endlich …«
»Aber unsere Sachen dürfen wir doch wohl noch abholen?« fragte Kathinka, und ihre Stimme klang bedrückt.
»Selbstverständlich! Wenn Sie Ihre Koffer abgeholt haben, wird die Mühle verschlossen. Man wird alle Zugänge und Fenster mit festen Bohlen vernageln.«
Zipka nagte an der Unterlippe. Die Situation spitzte sich zu. Wenn mit den Koffern auch plötzlich Lulu aus der Mühle käme, könnte man nur den Überraschten spielen. Für das arme Mädchen aber bedeutete ihr Wiederauftauchen unweigerlich den Transport in eine geschlossene Anstalt nach Arles.
»Ich schlage vor, wir fahren morgen früh zur Mühle und räumen aus«, sagte Ludwig gepreßt. »Dann werden wir bei Dupécheur ein Zimmer mieten …«
»Aber ich bitte Sie! Sie können doch meine Gäste bleiben!« warf der Marquis rasch ein. »Wenn Sie, Monsieur, unbedingt ein Verfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge auf sich nehmen wollen …«
»Ich möchte im Dorf wohnen, Marquis. Ich ahne, daß Komplikationen auf uns zukommen und sich mehren – und das ist Ihnen nicht länger zuzumuten!« Zipka schlug die Fäuste gegeneinander. »Wir werden bei Dupécheur wohnen.«
Der Marquis nickte gottergeben. Sein so lückenloser Plan begann überall Löcher zu bekommen. Auf der einen Seite mußte der Deutsche in dem Glauben gelassen werden, er sei ein Mörder und müsse sofort verschwinden, vor allem innerhalb der drei Tage, die Bondeau noch als Toter vorgezeigt werden konnte – und andererseits war Sergeant Andratte bereit, kein Protokoll aufzunehmen und die Sache mit Bondeau als Unglücksfall zu betrachten – was natürlich Monsieur Zipka nie erfahren durfte! –, denn nach drei Tagen würde Mas d'Agon das unbegreifliche Wunder erleben, daß Bondeau wieder aufstand, sich von neuem Mut antrank und dann seine feiernde Frau Josephine verprügelte. Das wiederum würde davon ablenken, daß Lulu für immer verschwand, wenn die unbekannten Erpresser sie freiließen. Sie hatte bewiesen, daß sie einen großen Risikofaktor in Raouls Geschäft darstellte. Ein Risiko, das für den Marquis vielleicht tödlich werden konnte. Es war schon eine Kunst, mit allen diesen Bällen zu jonglieren …
In der Nacht beobachteten
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