Liebe, lebenslänglich
einer Bedenkzeit von fast sechs Monaten entschied man sich im Oktober 2003, es zu versuchen.
Ein Jahr später, am 21. Oktober 2004, wartet Frédéric Carrière mit schweißnassen Händen vor der Tür des Krankenhauszimmers, in dem sein Sohn geboren wird. Er selbst hat einen Halbbruder, der durch einen ärztlichen Fehler bei der Geburt schwer behindert ist, seine Angst ist groß. Er versucht sie mit Pique Dame zu zähmen, einer Erzählung von Alexander Puschkin. Dann hört er Schreie. Constanze, die Co-Mutter, kommt zur Türe heraus. Die Ultraschallbilder seien trügerisch gewesen, sagt sie, und er befürchtet das Schlimmste. Es sei eine Tochter, fährt sie fort, kein Junge, eine gesunde Tochter. Seither ist Frédéric Carrière »der glücklichste Vater der Welt«, wie er sagt.
Auch Paula verbringt die Zeit offensichtlich gerne mit ihrem Vater. Sie schmiegt sich an ihn, sie neckt ihn, sie steigt ihm auf den Schoß und wieder runter. Sie hat in ihren Bewegungen die Verspieltheit eines jungen Hundes und die Geschmeidigkeit einer Katze. Eben war sie im Ballettunterricht, jetzt schlägt sie im Garten ein Rad nach dem anderen, und weil sie den Spagat perfekt schafft, nennt man sie in der Schule »Spagatfrau«.
Später erzählt sie mir in ihrem Zimmer, es gäbe Jungs, die sie »Spagatfrau« nennen würden, um sie zu hänseln, eigentlich sei ihr dies egal. »Sowieso ist einer verknallt in mich und der sagt das nur, weil er Aufmerksamkeit will.« Weniger egal ist ihr, wenn die Jungs sie immer wieder fragen, warum sie solche Eltern habe und wie sie entstanden sei, da müsse sie sich immer so rausschlingern, was nerve. »Ich könnte es ihnen ja genau sagen, wenn ich wollte«, sagt sie, steht auf und schließt die Tür. Dann erklärt sie es mir, und zwar im Detail, verbietet mir allerdings, es zu schreiben. »Das muss unter uns bleiben, das muss ja nicht jeder wissen.« Recht hat sie, finde ich, möchte aber trotzdem erfahren, wieso ich es nicht schreiben darf, und sie antwortet: »Weil es pervers ist.«
»Wieso?«, frage ich.
Paula zieht die Schultern hoch und lässt sie wieder fallen: »Weil es halt anders ist als bei den anderen.«
Sie sieht auch Vorteile in ihrer Situation. Wenn zum Beispiel ein Elternteil sterben würde, hätte sie immer noch drei Elternteile, und nicht nur eine Mutter oder einen Vater wie die anderen. Oder wenn zum Beispiel ihre Mutter arm werden würde, hätte der Vater immer noch Geld oder der Co-Vater oder die Co-Mutter. Einen Nachteil sieht Paula im Ausgelachtwerden, aber das habe sie ja schon gesagt, und darin, dass Papa finde, er habe seine Kinder zu wenig bei sich, und dass Mama finde, Papa übertreibe, und dass sie sich deswegen manchmal streiten und dass sie deswegen auch schon geweint habe, weil sich das anfühle, als ob von links und von rechts an ihr gezerrt würde.
Die Hälfte der Schulferien, jedes zweite Wochenende und jeden Freitagnachmittag haben die Väter die Kinder bei sich in Lahr und am Montag- oder Dienstagabend fahren sie jeweils nach Offenburg und verbringen den späten Nachmittag mit ihnen. Das sind rund zwanzig Prozent der Zeit. Achtzig Prozent verbringen Paula und Félix bei den Müttern. »Ja, wir würden unsere Kinder gerne öfter sehen«, sagt Frédéric Carrière, »ganz eindeutig.«
Doch die Mutter stellte von Anfang an klar, dass der Großteil des Alltags bei ihr stattfinden würde, über die Feinheiten hatten sie sich im Vorfeld nicht unterhalten: »Wir sind hineingeschlittert, und das ist gut so. Sonst würde es Paula und Félix womöglich gar nicht geben.« Das Abschiednehmen fällt Frédéric Carrière jedes Mal schwer. Es sind Momente der Traurigkeit, wenn er am Sonntagabend die Spielsachen wegräumt. Und auch für die Kinder sind die Wechsel mit Schwierigkeiten verbunden. Eine Zeit lang war es Paula, die sich nur mit Tränen in den Augen von den Vätern trennte. Im Moment hat eher Félix Mühe, sich von seinen Müttern zu lösen.
Frédéric Carrière hoffte auf Entspannung, als »die Frauen«, wie er die biologische Mutter und ihre Partnerin nennt, aus ihrer Wohnung in Offenburg ausziehen mussten. Da habe er sich bemüht, in seiner Nachbarschaft in Lahr etwas für sie zu finden. Die Begeisterung war klein. »Ich glaube, sie beharren auf einer gewissen Distanz«, sagt er. Auch seine Erwartung, dass mit einem zweiten Kind die Belastungen größer und die Besuchszeiten damit weniger restriktiv gehandhabt würden, hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Sein
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