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Liebe, lebenslänglich

Liebe, lebenslänglich

Titel: Liebe, lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula von Arx
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wenn man ihr gegenübersteht. Etwa ihre langen Haare, die sie manchmal nach hinten streicht, ihre Geradlinigkeit, ihre leichtfüßige Nachdenklichkeit. Beinahe finde ich es überflüssig, sie auf ihren Körper anzusprechen, was ich ihr sage.
    »Ja?«, sagt sie. »Es ist kein Problem für mich, man kann mich offen damit konfrontieren.« Sie weiß nicht mehr, wie alt sie war, aber sie weiß noch, was ihre Mutter antwortete, als sie sie fragte, warum sie nicht so groß sei wie die anderen: »Sofia, du bist klein, aber du hast ein großes Herz.« Diese Antwort habe sie zufriedengestellt.
    Dass sie in der Schule nie gehänselt wurde, erstaunt Sofia nicht, sie hat auch keine Erklärung dafür. »Es war einfach so. Ich wurde nie ausgelacht.« Wann immer ein Lehrer- oder Schulwechsel bevorstand, sei ihre Mutter hingegangen und suchte das Gespräch, das habe bestimmt geholfen. Vielleicht sei sie die ersten zwei Tage etwas angestaunt worden, dann habe sich das gegeben. Sie habe keine spezielle Behandlung gefordert und auch keine bekommen. Ihre Besonderheit sei einfach vergessen gegangen. Ein Turnlehrer habe einmal verlangt, dass alle Schüler sich so breitbeinig hinstellten, dass die anderen untendurch kriechen konnten, erzählt sie. »Und der hat nicht mal dran gedacht, dass das bei mir nicht geht.«
    Erst ein einziges Mal hat sie um Akzeptanz gezittert. Das war am ersten Tag ihrer Ausbildung zur Kinderbetreuerin: »Da hatte ich richtig Angst, dass man mich als Bezugsperson ablehnen könnte.« Sie habe den Kindern dann erklärt, dass nicht alle Menschen gleich groß würden, und das habe ihnen eingeleuchtet. Die Arbeit mit den Kindern gefalle ihr, obschon sie dabei körperlich an ihre Grenzen komme. Nach dem Praktikum wird die Berufsschule hinzukommen, Sofia wird viel lesen, schreiben und lernen müssen. Dinge, die ihr Mühe bereiten. Sie war keine gute Schülerin. Doch sie ist zuversichtlich, dass sie jemanden finden wird, der sie, wenn nötig, unterstützt.
    So leicht Sofia mit Menschen umzugehen weiß und so einfach es ihr fällt, Beziehungen zu knüpfen, ihr Alltag bleibt anstrengend, und das wegen der leblosen Dinge. Für Kleider kann sie nicht in die Kinderabteilung, wegen der Proportionen. Ihre Mutter ist Textildesignerin von Beruf und passt ihr die Hosen an. Schuhe sind das Schlimmste. Sofia hat relativ große Füße, Größe 35, und auch relativ breite. Sie sucht endlos, bis ein Paar sitzt.
    Regale, Schränke oder Billettautomaten stellen sie ebenfalls vor Probleme. Denn mit 128 Zentimetern ist Sofia etwa so groß wie ein achtjähriges Kind. Die Arbeit im Kinderhort erscheint ihr angenehm, weil das Mobiliar da auf Kinder ausgerichtet ist. Sonst ist sie oft auf einen Schemel oder auf Hilfe angewiesen. Bis jetzt sei sie in jeder Situation zurechtgekommen, sagt sie. »Das liegt wohl auch daran, dass meine Mutter mich zur Selbstständigkeit erzogen hat und ich darum das nötige Selbstbewusstsein habe.« Sie sei immer ihrem Alter entsprechend behandelt worden. Als sie aus dem Kinderwagenalter heraus war, hat ihre Mutter sie nicht weiter darin herumgefahren, obwohl es für sie bestimmt einfacher gewesen wäre. Die Möblierung zu Hause wurde nicht auf sie angepasst.
    Aber, sagt Sofia, ihre Mutter habe immer Verständnis gezeigt, dass sie schneller ermüde als andere. Denn wo andere einen Schritt machen, macht sie mindestens zwei. Wo andere eine Treppenstufe nehmen, klettert sie im Vergleich auf einen Stuhl. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt, ist sie so erledigt, dass sie oft nur Ruhe will. Ihre Mutter verstehe das und dränge sie nicht dazu, Sport zu machen oder Geige zu üben.
    Der Alltag erinnert auch Regula Mattmüller manchmal daran, dass ihre Tochter in einem Zwiespalt lebt. Einerseits sei sie wie alle anderen und wolle das auch sein. Andererseits sei sie eben doch anders und es müsse darauf Rücksicht genommen werden. Ebenfalls schwierig seien die Behörden. Sollte Sofia zum Beispiel eines Tages Auto fahren wollen, würde die Invalidenversicherung für die Umrüstung des Wagens aufkommen. Regula Mattmüller aber beantragte ein Spezialfahrrad. Ihr Gesuch wurde abgelehnt. Sie war zunächst beleidigt. Ein wenig später stieß sie in einer Ecke ihres Herzens auf Erleichterung: Die Nichtunterstützung bedeutete auch, dass Sofia nicht mit fragloser Eindeutigkeit in die Kategorie der Behinderten fiel.
    Seit der Operation ihrer O-Beine hat Sofia keine Schmerzen mehr. Sie hat damals mit ihrer Mutter überlegt, ob sie

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