Liebe, lebenslänglich
Herzlichkeit begrüßt, sind diese Äußerlichkeiten schnell vergessen, und man hat gar nicht das Gefühl, ein von den Wechseln des Lebens schwer gezeichnetes Opfer vor sich zu haben. Sie mustert mich mit wachen Augen und bugsiert mich mit Entschlossenheit ins Auto, redet fröhlich drauflos, sie kann rabiat werden, aber auch sehr leise.
Unglückliche Kindheit, unglückliche Ehe, Depressionen, glückliche zweite Ehe, der schwere Autounfall, der Tod ihres zweiten, geliebten Mannes – es ist nicht falsch, Petra Krause-Wlochs Geschichte so zusammenzupacken, nur ist es auch nicht richtig. Ihr Leben ist keine Fieberkurve, seine Höhen und Tiefen lassen sich nicht genau aufzeichnen, vielmehr vermischen sie sich auf schwer durchschaubare Weise. Außerdem fehlen in dieser Aneinanderreihung die Stationen ihres beruflichen Weges – sie sagt, sie habe sich immer über ihre Arbeit definiert, da sei sie wie ein Mann –, aber vor allem fehlen die Kinder. Sie wollte immer Kinder haben. »Erstens, weil ich es anders machen wollte als meine Mutter. Und zweitens, weil Kinder dem Leben Sinn geben.«
Mutter zu sein, das bedeutet für sie zuhören können. Nicht mehr und nicht weniger. »Wenn die Atmosphäre stimmt, fordern Kinder von selbst die Hilfe ein, die sie brauchen«, davon ist sie überzeugt. Also hat sie versucht, wach auf die Bedürfnisse ihrer Kinder zu reagieren. Eine Glucke war sie nie. Auch ging es ihr nicht in erster Linie darum, sich selbst fortzupflanzen: »Ich habe meine Kinder nie als mein Projekt betrachtet, wie das heute oft der Fall zu sein scheint.«
Folgerichtig hat sich Petra Krause-Wloch auf ganz verschiedene familiäre Verhältnisse eingelassen: Zeitweise lebten bei ihr unter einem Dach zwei leibliche Kinder aus erster Ehe, zwei Stiefkinder aus zweiter Ehe und zwei Pflegekinder. Und weil sie alle Kinder als Gottes Kinder betrachtet, hat sie zwischen ihnen keine Unterschiede gemacht. »Ich habe alle geliebt«, sagt sie. Trotzdem ist die Beziehung zu jedem von ihnen unterschiedlich gewachsen. Dass die Enge des Kontakts zu den sechs Kindern nichts mit dem Grad der Verwandtschaft zu tun hat, erstaunt sie nicht. Im Gegenteil, es bestätigt ihre Grundhaltung.
Ihre Pflegetochter Nicole, die erst mit siebzehn Jahren zu ihr kam, steht ihr heute am nächsten, auch im wörtlichen Sinne, denn sie wohnen im selben Haus. Nicoles inzwischen zehnjährige Tochter nennt Petra Krause-Wloch mit Selbstverständlichkeit »mein Enkelkind«. Ihre leibliche Tochter hingegen sieht sie drei- bis viermal im Jahr. Bei den wöchentlichen Telefonaten reden die beiden viel über Alltägliches, ein wenig über Privates und nie über Intimes. Die Verbindung zu Pflegesohn Thorsten, der seit seinem siebten Lebensjahr in ihrer Familie lebte, ist lose, aber sie nimmt diese Distanz nicht persönlich, Thorsten sei inzwischen verheiratet und stehe stark unter dem Einfluss der Ehefrau. Auch dass der Kontakt zu den beiden Stieftöchtern eingefroren ist, kann sich Petra Krause-Wloch mit den Umständen erklären: Nach dem Tod des Vaters habe die leibliche Mutter ihre Position wieder eingefordert, da sei kein Platz mehr für die Stiefmutter geblieben.
Wenn sie sich jedoch fragt, was zwischen sie und ihr erstes Kind William getreten ist, hilft ihr keine Erklärung, denn sie hat keine. Das Verhältnis zu ihm beschreibt sie als »sehr vorsichtig«. Sie sieht ihn nur an Weihnachten, und selbst dann geht er ihr aus dem Weg. Gratuliert sie ihm per SMS zum Geburtstag, kriegt sie vielleicht zwei Tage später ein sprödes »Danke« zurück. Und wenn sie einmal unter dem Jahr im dreihundert Kilometer nordwärts gelegenen Kiel anruft, dann beschleicht sie die Ahnung, dass nur das Pflichtgefühl William daran hindere, den Hörer gleich wieder aufzulegen. »Er lässt mich nicht an seinem Leben teilhaben, und er interessiert sich nicht für meines.« Er habe mit ihr abgeschlossen, so scheint es ihr, und sie weiß nicht, warum.
Sie weiß nur, wie weh das tut. »Was habe ich ihm angetan?«, fragt sie sich. Manchmal, an verhangenen Tagen, wird ihr Schmerz so stark, dass er sich in Tränen auflöst. »Dass ich nicht erfahren kann, wer ich für William bin, was ich ihm bedeute, das ist das Schlimmste«, sagt sie. Gerade weil es nichts Konkretes gibt, weder einen Streit noch sonstige Explosionen, besetzt William ihr Denken und Fühlen: »Von all meinen Kindern beschäftigt er mich am meisten.« Es erstaunt sie sehr, dass er sich überhaupt bereit erklärte, im
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