Liebe, lebenslänglich
ab: »Undenkbar!« Trotzdem, angenommen, es gäbe für die Täterschaft seines Sohnes unzweifelhafte Beweise – würde er ihm verzeihen können? Bence Toth schüttelt energisch den Kopf: »Diese Beweise gibt es nicht! Die kann es gar nicht geben. Für Bences Unschuld lege ich meine Hand ins Feuer. Ich gebe mein Leben dafür.«
Das tut er eigentlich jetzt schon. Er geht ins Fernsehen für Bence, er redet mit Zeitungen und Anwälten und löste seine Lebensversicherung auf, um den Verteidiger bezahlen zu können. Er führt die Freunde Bences an und seine Verlobte: »Alle, alle, die ihn kennen, sind von seiner Unschuld überzeugt.« Er verweist auf die Bürgerinitiative ProBence, die die Wiederaufnahme des Strafverfahrens fordert. Mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln arbeitet er für die Freiheit seines Sohnes und am Bild, das er sich von ihm macht.
Im Gegenzug beschuldigt er das Gericht der Voreingenommenheit: »Dieser Richter Götzl und die Münchner Staatsanwaltschaft. Je mehr Geständnisse, je höher die Strafen, desto größer ihr Erfolg. Diese Leute haben nicht Gerechtigkeit im Sinn, sondern ihre Karriere.« Auch mit Detailgenauigkeit versucht der Vater seinem Sohn zu helfen: Verurteilt wurde Bence Toth aufgrund von vierzehn Indizien, Zeugen gab es keine. In der Urteilsbegründung hieß es, dass kein Indiz allein für sich ausreiche, den vollen Beweis zu erbringen, doch alle Indizien zusammen würden sich wie zu einem Ring schließen und keine Zweifel an der Täterschaft zulassen.
Toth scheint im Bann dieses Rings und seiner Zerschlagung zu stehen. Immer wieder sieht er Lücken, Fehler, Patzer in der Argumentation. Zum Beispiel bemerkt er, dass ich Linkshänderin bin. Sofort geht die Rede zu seinem Sohn, der ebenfalls Linkshänder sei, und von da aus zum Mörder, der laut einem Rechtsmediziner mit voller Kraft und mit rechts zugeschlagen haben soll.
Wir bestellen ein Bier – und vom Bier zum Alkohol zur ermordeten Tante Charlotte Böhringer ist es ein Satz. Die Pötyi, wie sie in der Familie genannt werde, ungarisch für Pünktchen, obwohl sie gar nicht klein und herzig gewesen sei, sondern eine machtbewusste Münchner Society-Dame, die Pötyi also habe eigentlich gerne einen über den Durst getrunken, allerdings, so stellten die Gerichtsmediziner nach der Untersuchung ihres Blutes fest, offenbar nicht am Tag ihres Todes. Vater Toth kann darum nicht verstehen, dass das Gericht sich nicht mit der fast leeren Flasche Weißwein in Pötyis Kühlschrank befassen wollte. Sie hatte sie für eine Besucherin geöffnet, die letzte Person, die sie vor der Ermordung gesehen hatte. Doch der Besucherin schmeckte der Wein nicht. »Zu sauer«, gab sie den Behörden später zu Protokoll. »Wer also trank die Flasche leer?«, fragt Toth ziemlich aufgebracht.
Ebenso unfassbar ist für ihn das scheinbare Desinteresse des Gerichts für ein Weinglas in der Spülmaschine der Tante. Das Glas wies der Polizei bekannte DNA -Spuren auf. 1981 war die zehnjährige Schülerin Ursula Herrmann tot in einer im Wald vergrabenen Holzkiste aufgefunden worden. Dieselbe DNA wie am Weinglas hatte man damals schon an einer Schraube dieser Kiste gefunden. »Doch das Gericht hat diese Spur nicht beachtet, weil sie angeblich keinen unmittelbaren räumlichen Bezug zur Tat habe.« Vater Toth schüttelt den Kopf, den er sich schon so oft zerbrochen hat über dem 214 Seiten langen Urteil.
Statt sich mit der DNA zu befassen, interessierte sich das Schwurgericht für das Jurastudium seines Sohnes. Denn Pötyi hatte von dem Erben ihrer Geschäfte ein abgeschlossenes Jurastudium verlangt, Bence Toth junior aber schmiss es. Um nicht enterbt zu werden, verheimlichte er den Abbruch laut Gericht gegenüber der Tante zunächst und ermordete sie schließlich, damit sie es nie erfahren würde.
»Falsch! Bence hatte es ihr schon vorher gebeichtet!«, sagt der Vater. Pötyis Steuerverwalter bezeugte dies. Er habe ausgesagt, dass sie vom Studienabbruch ihres Lieblingsneffen gewusst und Verärgerung gezeigt habe. »Damit fällt doch das von der Staatsanwaltschaft konstruierte Tatmotiv in sich zusammen: Sie wusste es ja bereits! Sie wusste es ja bereits!« In der Stimme des Vaters liegen Triumph und Verzweiflung.
Ihm gegenüber hatte der Sohn den Abbruch des Studiums tatsächlich verschwiegen. Ja, sagt Vater Toth, aber das sei etwas ganz anderes. »Das war Scham, nur Scham.« Denn Bence habe gemerkt, dass er sein Studium niemals mit Auszeichnung
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