Liebe, Lust und Lesebrille
letztlich nicht darum, sich über den Chef aufzuregen, sondern zu schauen, was genau mich daran nun ärgert, berührt oder anderweitig beschäftigt.
Eine wunderbare Möglichkeit, auf besondere Weise in einen wesentlichen Dialog miteinander zu treten, ist das sogenannte »Zwiegespräch«. Der Paartherapeut Michael Lukas Moeller hat diese Form des Paar-Gesprächs von einigen Jahrzehnten entwickelt und zahlreichen Klientinnen und Klienten in Seminaren und Kursen nahegebracht. Die Ergebnisse waren frappierend: Selbst Paare, die schon lange bewusst den intensiven Austausch miteinander pflegten, lernten sich nochmals auf ganz andere Weise kennen. Nicht alle Erfahrungen, die sie dabei miteinander machten, waren ausschließlich schön, aber sie fanden doch ein tieferes Verständnis füreinander, was ihre Beziehung grundlegend stärkte.
Moeller bezeichnet Zwiegespräche auch als »Fenster zum gemeinsamen Unbewussten« 18 . Und als Aphrodisiakum: Denn das lebendige Paar, das aus den Zwiegesprächen erwachse – so Moeller sinngemäß – sei eine einzige erogene Zone. Na dann: Viel Spaß beim Ausprobieren!
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Der intime Dialog: Anleitung für Zwiegespräche
In Zwiegesprächen geht es darum, sich auf einer tieferen Ebene gegenseitig etwas von sich mitzuteilen und zu zeigen. Das braucht gegenseitiges Vertrauen und eine Schutzzone, in der man sich geborgen fühlt. Das Zwiegespräch läuft nach festgelegten Regeln und einem bestimmten Schema ab, die strikt eingehalten werden müssen. Auch wenn Ihnen das anfangs merkwürdig, künstlich oder konstruiert zu sein scheint: Lassen Sie sich einfach mal auf dieses Experiment ein und schauen Sie, was passiert.
Verabreden Sie sich einmal in der Woche für anderthalb Stunden in einem Zimmer, in dem Sie sich wohlfühlen und in dem Sie absolut ungestört sind. Telefon und Handys müssen abgestellt sein und auch kein Kind oder sonstiger Verwandter darf in diese Sitzung hineinplatzen.
(Manche Paare scheitern tatsächlich schon an der Aufgabe, für sich einen guten und sicheren Ort zu schaffen, an dem Sie ungestört miteinander sein können. Diese Paare haben oft große Angst davor, sich wirklich zu begegnen, und nutzen jede Gelegenheit, um sich voneinander ablenken zu lassen. Ausreden wie »Das geht nicht, weil …« sind fast immer ein Zeichen tiefster Abwehr und Ängste.)
Jeder Partner hat 15 Minuten Zeit, über sich zu sprechen. Der andere hört ausschließlich zu. Dann wird getauscht und der andere darf 15 Minuten von sich sprechen. Anschließend wieder der erste usw., bis die Zeit um ist. Wichtig ist, dass jeder genau die gleiche Redezeit zur Verfügung hat.
Der, der gerade spricht, darf ausschließlich von sich selbst reden, also nur »Ich-Botschaften« senden. Die Aufgabe besteht darin, die eigene Befindlichkeit mitzuteilen:
Wo stehe ich gerade?
Was beschäftigt, was bewegt mich?
Wie geht es mir?
Was bedrückt mich?
Was erlebe ich gerade?
Was fordert mich zurzeit heraus?
usw.
Nicht gestattet sind:
Du-Botschaften,
versteckte Du-Botschaften,
Vorwürfe an den Partner/die Partnerin
Ratschläge an den Partner/die Partnerin
Erklärungen oder Deutungen dessen, was der andere vorher gesagt hat.
Der andere, der gerade nicht spricht, hört seinem Partner aufmerksam und einfühlsam zu. Er darf aber nichts fragen, nichts kommentieren und sollte sich auch jeden nonverbalen Kommentar sparen. Er sollte während des Zuhörens darauf achten, dass er (auch innerlich) jede Bewertung dessen, was der Partner sagt, vermeidet, und weder Kritik daran äußert noch irgendetwas daran verbessert oder relativiert oder auf andere Weise »abwertet«. Es geht also darum, das Gehörte hundertprozentig so stehen zu lassen, wie es gesagt wurde, und es so zu akzeptieren – auch, wenn wir andere Ansichten haben oder uns das Gesagte auf andere Art irgendwie berührt haben mag.
Wenn das Zwiegespräch beendet ist, fangen Sie bloß nicht an, über die angesprochenen Themen zu diskutieren oder sie zu zerreden. Lassen Sie das Gesagte so stehen. Wenn Sie mögen, können Sie anschließend zusammen kochen oder etwas unternehmen; wenn Ihnen eher danach ist, sich zurückzuziehen, ist das natürlich auch in Ordnung. Nur hüten Sie sich davor, Ihrem Partner nach einer Weile das, was er gesagt hat, um die Ohren zu hauen oder sich darüber abwertend zu äußern. Nutzen Sie vielleicht eher die nächste Sitzung, um über die Gefühle, die Ihr Partner bei Ihnen ausgelöst hat, zu reden. Dafür gelten dann wieder die oben genannten
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